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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Alle Gewaltverhältnisse umwälzen

John Lennon’s Song »Working Class Hero« war ein Hit in einer Zeit, in der die poli­ti­sche Lin­ke mehr Ein­fluss auf den gesell­schaft­li­chen Dis­kurs hat­te, als das heu­te der Fall ist.

John Len­non sang: »Da ist noch Raum ganz oben, sagen sie Dir /​ Aber zuerst musst du ler­nen zu lächeln, wäh­rend Du tötest /​ Wenn Du wie die Leu­te an der Spit­ze sein willst /​ Ein Held der Arbei­ter­klas­se, das ist etwas, das man sein sollte.«

Heu­te bestim­men deut­li­cher als in Zei­ten der Jugend­re­vol­te nach 1968 die Gedan­ken der Herr­schen­den, wel­che Gedan­ken in der brei­ten Öffent­lich­keit und ent­spre­chend in vie­len Men­schen Raum grei­fen. Heu­te kommt kaum jemand ohne Insta aus, ohne Tik­Tok. Die AfD hat auf Tik­Tok weit mehr Zulauf als alle ande­ren Par­tei­en zusammen.

John Len­non kri­ti­sier­te in sei­nem Song: »Sie has­sen dich, wenn du schlau bist, und ver­ach­ten dich, wenn du wie ein Narr han­delst (…). Dann erwar­ten sie, dass du eine Kar­rie­re ergreifst, wenn du nicht rich­tig funk­tio­nie­ren kannst, bist du vol­ler Angst (…). Ein Held der Arbei­ter­klas­se zu sein, ist etwas, das es Wert ist, zu sein« (Über­setz.: B.T.).

Heu­te for­men der Neo­li­be­ra­lis­mus und mili­tä­ri­sche Bot­schaf­ten ein gänz­lich ande­res gesell­schaft­li­ches Kli­ma im poli­ti­schen Westen, so auch in Deutsch­land. Der Jugend­for­scher Klaus Hur­rel­mann, Mit­au­tor der Stu­die »Jugend in Deutsch­land 2024« kom­men­tier­te in der Frank­fur­ter Rund­schau vom 24.04.2024: »Die Annah­me, dass die Jun­gen links sind, ist falsch«, da rechts­po­pu­li­sti­sche Ein­stel­lun­gen in der Gene­ra­ti­on Z zunehmen.

Laut der Neu­en Zür­cher Zei­tung vom 1. März 2018 kom­men die »groß­for­ma­ti­gen Gesell­schafts­ent­wür­fe (…) heu­te nicht mehr von links, son­dern von rechts. (…) Der Kapi­ta­lis­mus mit sei­nem immer­glei­chen Waren­an­ge­bot – uni­for­me Ein­kaufs­stra­ßen, stan­dar­di­sier­ter Online-Han­del – lässt kaum noch Wahl­frei­heit zu. Der neue Flach­bild­fern­se­her hat einen Inter­net­zu­gang, ob man will oder nicht. Und im Inter­net muss man Coo­kies und Tracker akzep­tie­ren. (…) Die Rech­te hat die Sym­bo­lik der Alter­na­ti­ven kopiert – und die Lin­ke mit ihren eige­nen Waf­fen geschlagen.«

Die ARD-Sen­dung Pan­ora­ma vom 1. Juli 2021 dia­gno­sti­ziert den Posi­ti­ons­wan­del in der Öffent­lich­keit zur Fra­ge, was genau »links« sei: »Waren frü­her damit noch kla­re poli­ti­sche Bekennt­nis­se ver­bun­den, herrscht heu­te vor allem eines: viel Verwirrung.«

Die­se Ver­wir­rung kommt den Herr­schen­den gele­gen, denn sie lenkt von den system­be­ding­ten Unge­rech­tig­kei­ten im Kapi­ta­lis­mus ab. 1947 hat­te selbst die CDU in ihrem Ahle­ner Pro­gramm noch erkannt: »Das kapi­ta­li­sti­sche Wirt­schafts­sy­stem ist den staat­li­chen und sozia­len Lebens­in­ter­es­sen des deut­schen Vol­kes nicht gerecht geworden.«

In der aktu­el­len Dis­kurs-Pha­se ver­bin­den immer mehr Men­schen – anders als nach dem Faschis­mus, dem Kal­ten Krieg, in der Zeit der 1968er-Revol­te, der Frie­dens­be­we­gung der 1980er Jah­re und der Krie­ge in den Jah­ren nach dem Ende des Kal­ten Krie­ges – »links« mit alter­na­ti­ven Kul­tur­be­grif­fen wie dem eines soli­da­ri­schen Lebens­wan­dels, oder mit Tole­ranz gegen­über benach­tei­lig­ten Grup­pen. Damit ist »Links« nicht mehr per se mit »Sozia­lis­mus, System­kri­tik und Anti­ka­pi­ta­lis­mus sowie mit der Soli­da­ri­tät mit der Arbei­ter­klas­se« ver­bun­den, nicht mehr prio­ri­tär mit der Kri­tik an der Kluft zwi­schen Lohn­ar­beit und Kapi­tal. Mit einem oft unre­flek­tier­ten Extre­mis­mus-Begriff set­zen vie­le Medi­en und Verantwortungsträger/​innen Tei­le der Lin­ken in die Nähe der Rech­ten. Das wird oft mit Anti­se­mi­tis­mus-Vor­wür­fen ver­bun­den, sodass etwa der lin­ke Poli­ti­ker Yanis Varou­fa­kis sogar mit einem Ein­rei­se­ver­bot nach Deutsch­land belegt wur­de. Die TAZ berich­te­te am 13.4.2024 in die­sem Zusam­men­hang: »Neben Varou­fa­kis wur­den im Zuge der ›Palä­sti­na-Kon­fe­renz‹ auch gegen den Autor Sal­man Abu Sit­ta und den Arzt und Rek­tor der Uni­ver­si­tät Glas­gow, Ghassan Abu-Sit­tah, Betä­ti­gungs­ver­bo­te aus­ge­spro­chen. Ghassan Abu-Sit­tah, der in Ber­lin dar­über berich­ten woll­te, was er als Arzt bei sei­nem Ein­satz mit ›Ärz­te ohne Gren­zen‹ in Gaza erlebt hat­te, war mehr als drei Stun­den am Ber­li­ner Flug­ha­fen fest­ge­hal­ten wor­den. Ihm wur­de die Ein­rei­se ver­wei­gert, er muss­te umge­hend nach Lon­don zurückkehren.«

Die Ver­wir­rung geht dem­zu­fol­ge so weit, dass lin­ke Systemkritiker/​innen auch im Bereich von Wis­sen­schaft und For­schung Aus­gren­zung erfah­ren, wie das Schick­sal der jüdi­schen US-Phi­lo­so­phin Nan­cy Fra­ser zeigt, der die­ses Jahr eine Gast­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät Köln ver­wehrt wur­de, nach­dem sie einen offe­nen Brief unter dem Titel »Phi­lo­so­phy for Pal­e­sti­ne« unter­schrie­ben hatte.

Vie­le For­schen­den im In- und Aus­land sehen in dem Fall einen bei­spiel­haft gra­vie­ren­den Ein­griff in die Mei­nungs­frei­heit. Frau Fra­ser kri­ti­siert, »dass Kri­ti­ker der israe­li­schen Staats­po­li­tik in Deutsch­land reflex­ar­tig des Anti­se­mi­tis­mus und der Leug­nung des Exi­stenz­rechts Isra­els beschul­digt wür­den« (For­schung & Leh­re, 11.4.2024).

Ähn­li­che Ver­wir­run­gen stif­ten eini­ge Kri­ti­ker der Frie­dens­be­we­gung, wenn sie die­ser u. a. vor­wer­fen, dass sie etwa mit ihrer Ableh­nung von Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne AfD-Posi­tio­nen ver­tre­ten. Die War­nung vor einer Eska­la­ti­on und die For­de­rung nach Diplo­ma­tie ent­springt dem Pazi­fis­mus; die AfD dage­gen warnt vor einer soge­nann­ten »Aus­plün­de­rung der Bun­des­wehr« durch Waf­fen­lie­fe­run­gen (Deutsch­land­ku­rier, 19.01.2023). Die Ableh­nung der Nato durch die AfD ent­springt eben­falls einem Ultra­na­tio­na­lis­mus und nicht dem Pazi­fis­mus. Natio­na­li­sten sind gegen jeg­li­che äuße­re Ein­mi­schung durch Nato-Struk­tu­ren. Die Frie­dens­be­we­gung lehnt die Nato ab, da ihre Stra­te­gie der Abschreckung und Hoch­rü­stung der welt­wei­ten Koope­ra­ti­on zugun­sten der Bewäl­ti­gung der Zukunfts­ge­fähr­dun­gen in einer Frie­dens­ord­nung der gemein­sa­men Sicher­heit entgegensteht.

Par­tei­en der Nato-Lob­by wie die in der Ampel-Regie­rung und die CDU/​CSU war­nen vor einem Rechts­ruck und unter­stüt­zen Anti-AfD-Demon­stra­tio­nen, betrei­ben aber zugleich mit ihrer Asyl­rechts­ver­schär­fung, mit Waf­fen­ex­port-Rekor­den und Sozi­al­ab­bau und der steu­er­li­chen Begün­sti­gung von Kapi­tal­eig­nern rech­te Politik.

Grund­sätz­lich besteht die die histo­ri­sche Auf­ga­be der Lin­ken dar­in, alle Ver­hält­nis­se »umzu­wer­fen, in denen der Mensch ein ernied­rig­tes, geknech­te­tes, ver­las­se­nes, ver­ächt­li­ches Wesen ist«, wie es Karl Marx in der Kri­tik der Hegel­schen Rechts­phi­lo­so­phie auf den Punkt brach­te. Als Ziel die­ser Umwäl­zung bezeich­ne­ten Karl Marx und Fried­rich Engels im kom­mu­ni­sti­schen Mani­fest eine Asso­zia­ti­on, »wor­in die freie Ent­wick­lung eines Jeden, die Bedin­gung für die freie Ent­wick­lung aller ist«.

Die Lin­ke ist inter­na­tio­na­li­stisch, sie ver­folgt frie­dens­po­li­ti­sche Zie­le im Rah­men des Völ­ker­rechts, sie ist inter­kul­tu­rell, demo­kra­tisch auf Par­ti­zi­pa­ti­on aus­ge­rich­tet und ent­spre­chend gegen jede Unter­drückung und Ungleich­be­hand­lung von Menschen.

Die Lin­ke im 21. Jahr­hun­dert steht vor der Auf­ga­be, eine inter­na­tio­na­le Koope­ra­ti­on zur Bewah­rung der Lebens­grund­la­gen auf­zu­bau­en. Sie steht gegen Hoch­rü­stung, Aus­gren­zung, Umwelt­zer­stö­rung und Aus­beu­tung. Sie steht für Zukunft, die es nur im Frie­den gibt. Wie sang John Len­non: »Give Peace a Chan­ce!«