Der 1937 in Chemnitz geborene und heute in Kleinmachnow bei Berlin lebende Fotograf Thomas Billhardt war in der DDR vor allem als Reisefotograf bekannt, der fast fünfzig Länder bereiste und die dort entstandenen Bilder weltweit publizieren konnte. Weltberühmt wurden seine Fotos, mit denen er die Schrecken des Vietnam-Krieges dokumentierte.
Seine Mutter, ebenfalls Fotografin, hatte ihn bereits im Alter von 14 Jahren an die Fotografie herangeführt. Nach einem Studium an der Fachschule für angewandte Kunst in Magdeburg sammelte er erste praktische Erfahrungen als Werksfotograf im Braunkohletagebau in Großkayna. Später absolvierte er noch ein Studium zum Fotografiker und Fotodesigner an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.
Seine Diplomarbeit 1963 über den Alexanderplatz in Berlin sollte der Auslöser werden, dass ihn dieser Platz mit seinen markanten Bauwerken und seiner Atmosphäre auch später immer wieder faszinierte. Auf dem riesigen Areal war das pure Leben, hier war alles in Bewegung. Rund um die berühmte Weltzeituhr strahlte der Platz für Billhardt immer etwas Neues und Bannendes aus.
Im Mitteldeutschen Verlag ist nun ein umfangreicher Bildband erschienen, der die fast sechzigjährige Beschäftigung Billhardts mit dem Alexanderplatz zeigt, der bei Berlinern und Touristen gleichermaßen beliebt ist. Ein Großteil der Aufnahmen (meist in Schwarz-Weiß) zeigt das pulsierende Herz der ehemaligen DDR-Hauptstadt in den 1960er Jahren, als sein Aussehen sich stark veränderte. Er wurde zu einer jahrelangen großen und immer mehr erweiterten Baustelle, die Billhardt auch aus luftiger Höhe – unerlaubterweise – von einem Baukran oder vom Fernsehturm fotografisch dokumentierte. Die Errichtung des »Telespargels« hielt er ebenfalls in den einzelnen Etappen fest. Zu DDR-Jahrestagen wurden zudem neue »Großbauten« oder Kunstwerke rund um den Alex eröffnet, die natürlich auch sein Interesse weckten.
In den 1970er und 1980er Jahren überwiegen die Farbaufnahmen, z. B. von den Weltfestspielen 1973, dem Pfingsttreffen der FDJ 1979 oder von der Kundgebung am 4. November 1989, als rund 500.000 für Demokratie, für Presse- und Meinungsfreiheit demonstrierten. Den Abschluss der Neuerscheinung bilden einige Fotomotive aus dem Vorjahr, die in der Blauen Stunde aufgenommen wurden und den Alexanderplatz in einem besonderen Charme zeigen.
Thomas Billhardt hat sich aber nicht nur für die baulichen Veränderungen des Alexanderplatzes interessiert, immer wieder hat er auch einen authentischen Blick auf die Menschen geworfen, ihre kleinen Freuden und ihren Alltag rund um den Platz eingefangen – und das ganz unverfälscht und abseits der Propaganda, die die offizielle Bildwelt der DDR beherrschte. Mit feinem Gespür für Situationen hat Billhardt bewegende und einzigartige Zeitdokumente geschaffen, in denen man heute staunend blättert.
Die Filmkomponistin Dascha Dauenhauer, die für ihre Arbeit zur Neuverfilmung des Alfred Döblin-Romans »Berlin Alexanderplatz« mit dem Deutschen wie auch dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, schildert in ihrem Vorwort ihre persönlichen Eindrücke vom Alexanderplatz, der schon seit ihrer Kindheit für sie eine magische Anziehung hatte. Thomas Billhardt gibt in seinem Nachwort »Mein Alexanderplatz« einen Einblick in seinen beruflichen Werdegang als Fotograf und seine besondere Beziehung zum Berliner Alex.
Thomas Billhardt: Berlin Alexanderplatz 1958-2022, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2023, 160 S., 30 €.