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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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AKK und der weiße Nebel wunderbar

Eines der Glanz­stücke deut­scher Kaba­rett­kunst war der Hel­mut Kohl nach­emp­fun­de­ne Gedicht­vor­trag von Die­ter Hil­de­brandt – Sie erin­nern sich? Die Num­mer begann so: »Der Mond, mei­ne Damen und Her­ren, /​ und das möch­te ich hier in aller Offen­heit sagen, /​ ist auf­ge­gan­gen, …« Und ende­te mit: »… was mei­ne Reden seit jeher aus­zeich­ne­te – /​ der wei­ße Nebel wunderbar.«

Seit­her hat der wei­ße Nebel so sehr um sich gegrif­fen, dass kaum noch mal ein Mond auf­geht in einer Poli­ti­ker-Rede. Bezeich­nend war der Aus­spruch von Andrea Nah­les, damals noch Vor­sit­zen­de der SPD: »Die Fra­ge, wofür wir eigent­lich ste­hen, ist mit neu­em Selbst­be­wusst­sein auf­ge­la­den.« (Inter­view gegen­über den Zei­tun­gen der Fun­ke-Medi­en­grup­pe am 16.4.19) Aha, eine Fra­ge ist mit Selbst­be­wusst­sein auf­ge­la­den, toll!

Und die CDU nicht anders. Frau Mer­kel ist immer dafür gewählt wor­den, dass sie zu jedem Anlass und für jeden Geschmack ein paar Flos­keln drauf hat. Womit sie in die Geschich­te ein­ge­hen wird: »Wir schaf­fen das!« Preis­fra­ge: Hin­ter wel­chem Wort ver­steckt sich die Phra­se? Hin­ter allen drei­en! Denn wer ist »Wir«? Die Poli­ti­ker schon mal nicht, die schaf­fen gar nichts. »Schaf­fen« heißt auch: »Gestal­ten«. Und mit die­sen Gestal­ten krie­gen »wir« höch­stens eine Rau­te hin. Und »das« kann alles bedeu­ten: Inte­gra­ti­on oder Abschiebung.

Wer aber dach­te, schlim­mer kann es nicht kom­men, der kann­te Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er noch nicht, pas­send AKK abge­kürzt: das Maschi­nen­ge­wehr Mer­kels. AKK kann noch mehr Phra­sen und vor allem in schnel­le­rem Tem­po. Inso­fern reibt man sich die Augen ob der Fernseh-»Brennpunkte« nach ihrer Rück­zugs­an­kün­di­gung. Das kön­nen nur Kro­ko­dils­trä­nen sein. Oder hat wirk­lich nie­mand außer mir ihre Par­tei­tags­re­de ana­ly­siert? Auf dem Par­tei­tag der CDU in Leip­zig gab die Spit­zen­po­li­ti­ke­rin andert­halb Stun­den Phra­sen-Schnell­feu­er von sich und mäh­te jeden Wider­stand nie­der. Hier eini­ge Aus­schnit­te, tat­säch­lich wört­lich wie­der­ge­ge­ben aus mei­ner Mit­schrift, mit allen gram­ma­ti­ka­li­schen – sagen wir mal – Unge­nau­ig­kei­ten, denn Kramp-Kar­ren­bau­er hat die Rede nicht vom Blatt gele­sen, son­dern sie aus ihrem Her­zen spru­deln las­sen. Das wahr­schein­lich schon damals voll Ver­zweif­lung über­quoll, weil es wuss­te, dass sie lang­fri­stig kei­nen Erfolg haben würde:

»Wir tref­fen uns heu­te hier zu unse­rem 32. Bun­des­par­tei­tag, einem Par­tei­tag, der in Leip­zig statt­fin­det. Und das macht die­sen Par­tei­tag zu etwas Beson­de­rem, denn Leip­zig ist etwas Beson­de­res. […] Das war die glück­lich­ste Stun­de in der deut­schen Geschich­te, und ich las­se mir das von nie­man­dem schlecht­re­den und von nie­man­dem neh­men. […] Danach kam für vie­le Men­schen die Wen­de. […] Gan­ze Bio­gra­fien […], die auf ein­mal nichts mehr wert waren. […] Das war die Lei­stung der Wen­de. […] Es sind und es waren 14 gute Jah­re für Deutsch­land, und dar­auf kön­nen wir alle mit­ein­an­der stolz sein […]

Wir reden heu­te über die Zukunft. […] Die Zukunft ist noch nicht aus­ge­macht. Sie liegt in unse­rer Hand. […] Und wir müs­sen die Chan­cen nut­zen, die im Mor­gen lie­gen. Und ob das so kommt oder nicht, das liegt ein gutes Stück an uns. Das kann pas­sie­ren, muss aber nicht […] Ich möch­te, dass made in Ger­ma­ny dafür steht, dass die­ses Land, das eines der stärk­sten und der wich­tig­sten auch in der Welt ist, dass die­ses Land, dass wir alle uns um die Welt küm­mern, weil wir von hier aus Lösun­gen in die Welt geben, um Pro­ble­me zu lösen. […]

Ich will, dass wir staat­li­che Dienst­lei­stun­gen mit einem Klick auf dem Smart­phone haben […] Ich möch­te, dass wir Euro­pa­mei­ster wer­den […] bei Geneh­mi­gun­gen und von Bau­en […], wir müs­sen mehr bau­en als ande­re. […] Ich möch­te, dass Kin­der in eige­nen vier Wän­den ihrer Fami­lie auf­wach­sen kön­nen, mehr Kin­der und mehr eige­ne vier Wände […]

Wir sind und wir haben die pro­gram­ma­ti­sche Kraft. Wir haben den Füh­rungs­an­spruch aus unse­ren Wer­ten. Und wir haben den poli­ti­schen Gestaltungswillen […]

Indu­strie 4.0 ist in Deutsch­land erfun­den wor­den […] Wer schon mal erlebt hat, wie das ist, wenn Kin­der unter digi­ta­len Mit­teln mit 3D-Bril­len in ihrem Klas­sen­zim­mer sit­zen und auf ein­mal – ich hab das in Paris gese­hen – mit­ten in Ver­sailles ste­hen […], dass sie in einer vir­tu­el­len Rea­li­tät durch die gan­ze Welt rei­sen kön­nen, […] das sind Kin­der, die nach­her ande­re Men­schen aus ande­ren Län­dern die­ser Welt nicht has­sen, […] das ist Sinn unse­rer Bil­dungs­po­li­tik. […] Dass Daten der erneu­er­ba­re Treib­stoff sind, dass wir offe­ne Schnitt­stel­len haben, das bringt den Erfolg für die Zukunft […] Ich freue mich, wenn Tes­la hier eine Fabrik in Deutsch­land baut, aber […] ich freue mich sehr viel mehr dar­über, wenn wir mit Was­ser­stoff […] in einer CO2-ver­träg­li­chen Situa­ti­on es schaf­fen, dass der Ver­bren­ner wei­ter in Deutsch­land bleibt […]

Ich las­se mich nicht in eine Schub­la­de stecken. Ich bin kon­ser­va­tiv, genau­so gut wie ich libe­ral und wie ich sozi­al bin. Und nur wenn alle die­se Flü­gel ihre Flü­gel aus­strecken kön­nen, dann wer­den wir als Par­tei auch wie­der in ande­re Sphä­ren flie­gen können.«

Der wei­ße Nebel wun­der­bar! Aller­dings müss­te man für Kramp-Kar­ren­bau­er ein ande­res Gedicht wäh­len. »Der Mond ist auf­ge­gan­gen« ist zu behä­big. Dabei konn­te man ja noch mit­den­ken! Für sie passt bes­ser »Mor­gen kommt der Weih­nachts­mann«, viel­leicht in fol­gen­der Fassung:

»Mor­gen, /​ lie­be Freun­din­nen und Freun­de, – und wir müs­sen die Chan­cen nut­zen, die im Mor­gen lie­gen – /​ mor­gen kommt /​ – und wir reden hier über die Zukunft, lie­be Freun­din­nen und Freun­de! – /​ der Weih­nachts­mann, /​ und ich freue mich, wenn er kommt, aber noch mehr freue ich mich, wenn er mit einem deut­schen Auto mit Ver­bren­nungs­mo­tor kommt. Das ist die Lei­stung der Wen­de und, das wer­den die glück­lich­sten Stun­den der deut­schen Geschich­te, die ich mir von nie­man­dem /​ schlecht­re­den las­se! Denn er /​ kommt mit sei­nen Gaben! /​ Und wenn dann die Kin­der unter digi­ta­len Mit­teln mit 3D-Bril­len vir­tu­ell plötz­lich in /​ Ver­sailles sind, dann brau­chen sie kei­ne /​ bun­ten Lich­ter, Sil­ber­zier, /​ son­dern staat­li­che Dienst­lei­stun­gen mit einem Klick auf dem Smart­phone; /​ Kind und Krip­pe /​ – mehr eige­ne vier Wän­de und mehr Kin­der! –, /​ Schaf und Stier, /​ offe­ne Schnitt­stel­len; /​ Zot­tel­bär und Pan­ther­tier, /​ Daten als erneu­er­ba­ren Treib­stoff: /​ Das will ich alles haben! /​ Ich bin kon­ser­va­tiv, wie ich libe­ral bin und sozi­al! /​ Und dann wer­den wir als Par­tei auch wie­der in ande­re Sphä­ren flie­gen können!«

Die CDU war immer die »Kei­ne Experimente!«-Partei, die »Alles wird gut, wenn Ihr uns regie­ren lasst!«-Partei, die »Unser Kanzler/​unsere Kanz­le­rin ist die Beste«-Partei, und nicht die Par­tei eines, wie auch immer gear­te­ten, Pro­gramms, schon gar nicht eines Wan­dels. Heu­te spü­ren die Wäh­ler, dass sich etwas wan­delt, und sie wol­len zumin­dest das Gefühl, unse­re Tita­nic in den Hän­den eines guten Kapi­täns zu wis­sen. Oder wenig­stens eine gute Musik­kap­pel­le auf dem Damp­fer zu haben, die den Unter­gang schmis­sig beglei­tet. Noch haben eini­ge in der CDU die Illu­si­on, dass irgend­ein bes­se­rer Kapi­tän es rich­ten wird. Spä­te­stens wenn Black­Rock mit Fried­rich Merz durch­re­giert, wer­den sie sehen, dass nicht der Kapi­tän geän­dert wer­den muss, son­dern die Route.

Die CDU in ihrer bis­he­ri­gen Form hat aus­ge­dient, egal, wer ihre Füh­rung über­nimmt, denn der Eis­berg rückt näher – und es ist kein Trost, dass er abschmilzt.