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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Abschiebeknast als Regelfall

Die Bun­des­re­gie­rung berei­tet der­zeit einen Gesetz­ent­wurf vor, um die Zahl der Abschie­bun­gen mas­siv zu erhö­hen. Damit droht eine mas­si­ve Kri­mi­na­li­sie­rung, Ille­ga­li­sie­rung und Ver­ar­mung von Schutz­su­chen­den, deren Asyl­an­trä­ge abge­lehnt wur­den. Der Ent­wurf sieht unter ande­rem eine Beweis­last­um­kehr vor: Flücht­lin­ge sol­len in Zukunft bewei­sen müs­sen, dass sie sich der Abschie­bung nicht ent­zie­hen wer­den, anson­sten kom­men sie in Abschie­be­haft. Men­schen mit Dul­dungs­sta­tus droht eine dra­sti­sche Absen­kung staat­li­cher Leistungen.

»Die Rechts­pflicht, Deutsch­land frei­wil­lig zu ver­las­sen, wird von einer hohen Zahl voll­zieh­bar Aus­rei­se­pflich­ti­ger nicht befolgt«, heißt es in einem Refe­ren­ten­ent­wurf des Bun­des­in­nen­mi­ni­ste­ri­ums zu einem »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz«. Zur Begrün­dung wird dar­auf ver­wie­sen, es gebe laut Aus­län­der­zen­tral­re­gi­ster der­zeit knapp 236.000 aus­rei­se­pflich­ti­ge Aus­län­der in Deutsch­land, Ten­denz stei­gend. Dem ste­he ein Rück­gang der Aus­rei­sen gegen­über: Die Zahl der Abschie­bun­gen sta­gnie­re bei rund 26.000 pro Jahr, und die frei­wil­li­gen Aus­rei­sen sei­en im ver­gan­gen Jahr erheb­lich zurück­ge­gan­gen, auf unter 30.000. Es gel­te des­we­gen, »Inef­fi­zi­en­zen« im Auf­ent­halts­recht und Abschie­be­re­gime zu beseitigen.

Die Zah­len schei­nen zu sug­ge­rie­ren, dass sich die nomi­nell 236.000 Aus­rei­se­pflich­ti­gen zu Unrecht in Deutsch­land auf­hal­ten. Tat­säch­lich haben die mei­sten von ihnen eine Dul­dung, man­che schon seit etli­chen Jah­ren, besu­chen die Schu­le, machen – so es ihnen behörd­lich gestat­tet wird – eine Aus­bil­dung oder gehen einer Lohn­ar­beit nach. Ihrer Abschie­bung ste­hen fak­ti­sche Hin­der­nis­se ent­ge­gen. Das weiß auch die Bun­des­re­gie­rung. Ihr Ansatz besteht nun dar­in, die Grup­pe der Gedul­de­ten auf­zu­tei­len: Für die­je­ni­gen, die »unver­schul­det«, zum Bei­spiel aus medi­zi­ni­schen Grün­den, nicht aus­rei­sen kön­nen, bleibt alles beim Alten (das heißt bei der ledig­lich pre­kä­ren Aus­set­zung einer Abschie­bung). Ist aber »die Unmög­lich­keit der Abschie­bung dem Aus­län­der zuzu­rech­nen«, soll die­ser einen recht­li­chen Sta­tus noch unter­halb der Dul­dung erhal­ten, und zwar eine »Beschei­ni­gung über die voll­zieh­ba­re Aus­rei­se­pflicht«. Der Refe­ren­ten­ent­wurf nennt als Bei­spie­le, dass der Betrof­fe­ne kei­ne Rei­se­do­ku­men­te vor­legt oder über sei­ne Iden­ti­tät täuscht. Dass es objek­ti­ve Grün­de dafür geben kann, sich vor der Flucht nicht erst gül­ti­ge Rei­se­päs­se aus­stel­len zu las­sen, dass man die­se auf der Flucht ver­lie­ren kann, das wird im Ent­wurf nicht wei­ter beleuch­tet. Das The­ma »Iden­ti­täts­täu­schung« oder »Iden­ti­täts­ver­wei­ge­rung« ist ein Dau­er­bren­ner asyl­feind­li­cher Argu­men­ta­ti­on, die Men­schen dazu zwin­gen will, an ihrer Abschie­bung aktiv mitzuwirken.

Die Fol­gen der geplan­ten Her­ab­stu­fung des Auf­ent­halts­sta­tus sind gra­vie­rend: Die Betrof­fe­nen sind »von Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­ten und Ange­bo­ten, die zur Auf­ent­halts­ver­fe­sti­gung füh­ren kön­nen, aus­zu­schlie­ßen«, sie erhal­ten die Auf­la­ge, in einer Gemein­schafts­ein­rich­tung zu woh­nen, sie dür­fen kei­ne Arbeit auf­neh­men, es wird eine Mel­de­pflicht bei der Poli­zei ein­ge­führt. Das Asyl­be­wer­ber­lei­stungs­ge­setz soll dahin­ge­hend geän­dert wer­den, dass nur noch Lei­stun­gen für Unter­kunft, Essen und Hygie­ne­ar­ti­kel gewährt wer­den, was in Gemein­schafts­ein­rich­tun­gen in der Regel bar­geld­los erfolgt.

In kaum zu über­bie­ten­dem Euphe­mis­mus spricht der Gesetz­ent­wurf davon, die­se umfas­sen­den Schi­ka­nen gegen Flücht­lin­ge dien­ten dazu, ihre »Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft zu erhö­hen« und sich bei ihrem zustän­di­gen Kon­su­lat um einen Pass zu bemü­hen. Das ist unrea­li­stisch. Die Betrof­fe­nen sind aus guten Grün­den geflo­hen, weil sie in ihrem Her­kunfts­land kei­ne Per­spek­ti­ve haben. Ihre fak­ti­sche Ent­rech­tung in Deutsch­land wür­de sie ledig­lich in die Ille­ga­li­tät zwingen.

Weit im Vor­feld eines kon­kre­ten Abschie­be­ter­mins droht künf­tig die neu ein­ge­führ­te soge­nann­te Erwei­ter­te Vor­be­rei­tungs­haft – und zwar jedem, der die »Vor­be­rei­tung der Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht oder das Abschie­bungs­ver­fah­ren umgeht oder behin­dert«. Als Indi­ka­tor wird auch hier exem­pla­risch genannt, dass der Aus­rei­se­pflich­ti­ge sei­ne Iden­ti­tät nicht offen­legt oder nicht »aus­rei­chend« an der Beschaf­fung von Rei­se­do­ku­men­ten mit­wirkt. Dar­über hin­aus kön­ne aber »grund­sätz­lich jedes dem Aus­län­der zure­chen­ba­re Ver­hal­ten die Erwei­ter­te Vor­be­rei­tungs­haft begrün­den, sofern es den Tat­be­stand erfüllt«. Wenn die Inhaf­tier­ten dem Druck nach­ge­ben und ihre Iden­ti­tät offen­le­gen, ent­fällt zwar der Haft­grund, aber frei kom­men sie des­we­gen nicht. Statt­des­sen wer­den sie umge­hend in die soge­nann­te Siche­rungs­haft ver­legt. Die­se droht beson­ders den­je­ni­gen, die angeb­lich »durch Unter­drückung oder Ver­nich­tung« von Aus­wei­sen die Abschie­bung behin­dert haben, die ihren Auf­ent­halts­ort ohne Geneh­mi­gung wech­seln, nicht zu Anhö­run­gen bei der Aus­län­der­be­hör­de erschei­nen oder »Vor­be­rei­tungs­hand­lun­gen von ver­gleich­ba­rem Gewicht« zur Ver­mei­dung ihrer Abschie­bung bege­hen. Zu den kon­kre­ten Anhalts­punk­ten gehört bei­spiels­wei­se, dass zur Ein­rei­se Geld­be­trä­ge auf­ge­wandt wor­den sind, die nach Maß­stä­ben des Her­kunfts­lan­des »erheb­lich« sind. Die Flucht­ge­fahr wird dann »wider­leg­lich ver­mu­tet«, was bedeu­tet: Im Regel­fall droht die »Siche­rungs­haft«, es sei denn, der Aus­län­der kann bewei­sen, dass er sich der Abschie­bung nicht ent­zie­hen wird. In der Pra­xis wird er sich gegen die Unter­stel­lung, das Nicht­vor­han­den­sein von Papie­ren sei auf ihre vor­sätz­li­che Ver­nich­tung zurück­zu­füh­ren, kaum weh­ren kön­nen. Die Gesamt­dau­er von Vor­be­rei­tungs- und Siche­rungs­haft wird auf sechs Mona­te begrenzt.

Schließ­lich gibt es noch den »Aus­rei­se­ge­wahr­sam«, der gänz­lich unab­hän­gig vom Vor­lie­gen einer Flucht­ge­fahr die Inhaf­tie­rung Aus­rei­se­pflich­ti­ger im Zeit­raum von bis zu zehn Tagen vor einer Abschie­bung ermöglicht.

Ins Visier nimmt der Ent­wurf auch die von der CSU so genann­te »Anti-Abschie­be-Indu­strie«, sprich Orga­ni­sa­tio­nen und Ein­zel­per­so­nen, die sich für die Rech­te von Flücht­lin­gen ein­set­zen. Für die unbe­fug­te Mit­tei­lung bevor­ste­hen­der Abschie­be­ter­mi­ne droht eine Frei­heits­stra­fe von bis zu drei Jah­ren. Das schränkt auch den Spiel­raum von Sozi­al­ar­bei­tern und Rechts­an­wäl­ten ein.

Schließ­lich will das Innen­mi­ni­ste­ri­um die der­zei­ti­ge Tren­nung von Straf­voll­zug und Abschie­be­haft auf­ge­ben und Abschie­be­häft­lin­ge in nor­ma­len Knä­sten unter­brin­gen. Das sei not­wen­dig, weil die der­zeit 420 bun­des­weit vor­han­de­nen Abschie­be­haft­plät­ze nicht aus­reich­ten. Im Moment stimmt das nicht: Zum Stich­tag 30. Juni 2018 befan­den sich laut Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Gro­ße Anfra­ge der Links­frak­ti­on bun­des­weit 233 Per­so­nen in Abschie­be­haft. Im neu gebau­ten Abschie­be­knast am Münch­ner Flug­ha­fen – monat­li­che Kosten über 400.000 Euro –, der Platz für 30 Abzu­schie­ben­de bie­tet, befan­den sich laut einer Focus-Recher­che seit Sep­tem­ber 2018 ins­ge­samt »ledig­lich« 53 Per­so­nen, zum Stich­tag 9. Febru­ar waren es fünf.

Von sei­nen weit­grei­fen­den Plä­nen »erhofft« sich Bun­des­in­nen­mi­ni­ster See­ho­fer offen­sicht­lich, dass die Abschie­be­knä­ste künf­tig aus den Näh­ten plat­zen. Das lässt man sich dann ger­ne etwas kosten – auf 13 Mil­lio­nen Euro schätzt der Ent­wurf die jähr­li­chen Mehr­ko­sten des Geset­zes­pa­ke­tes für die Verwaltung.

Auch wenn eini­ge der geplan­ten Neu­re­ge­lun­gen womög­lich vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt kas­siert wür­den (etwa die anlass­lo­se »Vor­be­rei­tungs­haft«): Die Ten­denz des Gesetz­ent­wurfs ist erschreckend. Dem »Willkommens«-Sommer 2015 folgt nun das genaue Gegen­teil. Statt einer huma­nen Flücht­lings- und Blei­be­rechts­po­li­tik geht die Uni­on einer Hor­ror­vi­si­on der weit­rei­chen­den Inter­nie­rung schutz­su­chen­der Migran­tin­nen und Migran­ten nach.