Der Mitteldeutsche Verlag begeht sein 75-jähriges Jubiläum. Dabei kann er auf einen wechselvollen Werdegang zurückblicken, der eng mit der jüngeren deutschen Geschichte verbunden war. Auf Initiative der damaligen Provinzialverwaltung der Provinz Sachsen wurde am 24. April 1946 die Mitteldeutsche Verlags GmbH gegründet. Anfangs bestanden die Aufgaben vorrangig im Druck und Vertrieb des Verordnungsblattes für die Provinz Sachsen, sowie im Druck von Formularen, Gesetzblättern und Halles erstem Nachkriegs-Adressbuch. Ein Jahr später folgten neben Noten- und Klavierbüchern mit Goethes »Torquato Tasso«, den »Kalendergeschichten« von Bertolt Brecht oder der Novelle »Über den Nebeln« von Arnold Zweig auch erste literarische Titel.
1952 erfolgte die Umbenennung in Mitteldeutscher Verlag Halle/Saale; damit wurde der Verlag staatlicherseits auf die Förderung von in der DDR lebenden Autor*innen festgelegt. Einen ersten Bekanntheitsschub erhielt das Haus mit dem Roman »Nackt unter Wölfen« von Bruno Apitz (1958), der in dreißig Sprachen übersetzt wurde und mit einer Gesamtauflage von mehr als zwei Millionen Exemplaren der größte Erfolg der Verlagshistorie wurde. Dazu beigetragen hat sicherlich auch, dass dieses Buch zur Pflichtlektüre in der Schule wurde. Die Entwicklung des Verlags und seiner ostdeutschen Autor*innen spiegelte auch die jeweilige gesellschaftliche Situation. So geriet der Verlag immer wieder zwischen die Stühle: Einerseits wollte man gute Literatur fördern, andererseits musste man sich den offiziellen Erwartungen an das Buchprogramm anpassen. Daraus erwuchs in der täglichen Verlagspraxis ein Geflecht widersprüchlicher Verhaltensweisen. Nicht selten war man verständnisvoller Förderer und kollegialer Diskussionspartner der Autor*innen und zugleich (Vor-)Zensor. So war der Verlag 1959 auch Mitveranstalter der Bitterfelder Konferenz, auf der eine neue sozialistische Nationalkultur eingeläutet wurde.
In den 1960er und 1970er-Jahren entwickelte sich das Haus zu einem bedeutenden Verlag der DDR-Gegenwartsliteratur, dessen Bücher vielfach im Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen standen. So erschienen hier Autor*innen wie Christa Wolf (»Der geteilte Himmel« oder »Nachdenken über Christa T.«), Erich Loest, Erik Neutsch (»Spur der Steine« oder »Friede im Osten«), Volker Braun, Elke Erb, Werner Heiduczek, Reiner Kunze oder Günter de Bruyn, die sich offen und kritisch mit der DDR-Gegenwart auseinandersetzten. Meine erste Bekanntschaft mit den Büchern aus dem Mitteldeutschen Verlag waren allerdings die historischen Romane von Karl Zuchardt.
Die deutsche Wiedervereinigung brachte völlig neue Herausforderungen. 1990 erfolgte die Privatisierung durch »Management-Buy-out«. In der Folge musste sich der Verlag von vielen seiner Autor*innen und auch Mitarbeiter*innen trennen. Trotz großer Probleme gelang es, ein neues Profil mit den Schwerpunkten Regionalia und Belletristik zu entwickeln. Doch die Altlasten wogen schwer, die Konkurrenz im neuen Deutschland war eine gänzlich andere. 1996 musste Insolvenz angemeldet werden. Eine neu gegründete Gesellschaft erwarb 1997 den Namen und die Buchbestände des Verlages. Langsam begann der Neuaufbau des inzwischen traditionsreichen Hauses, der auch neue programmatische Ausrichtungen mit sich brachte.
In den letzten 20 Jahren hat sich der Verlag auf vier Programmsäulen fokussiert. Er verlegt (wieder) anspruchsvolle zeitgenössische Belletristik, niveauvolle Unterhaltungsliteratur und Biografien. Ein besonderer Schwerpunkt liegt seit einigen Jahren auf Übersetzungen aus kleineren Sprachen und Literaturen wie Georgien, Vietnam, Litauen, Rumänien oder Ungarn. Im Reisesegment punktet man mit Stadt- und Reiseführern, Wanderführern, Kulturführern und Reiseberichten sowie Bildbänden. In der Kunstsparte widmet sich der Verlag vor allem ostdeutscher Fotografie vor 1989. Ein wichtiger Programmteil ist auch die Sparte Fach-/Sachbuch, in der mehrere Buchreihen mit diversen Partnern (u. a. Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, Historische Kommission für Sachsen-Anhalt, Stiftung LEUCOREA) erscheinen.
Mit einem kleinen Team von zehn festen sowie einigen freien Mitarbeiter*innen ist der Mitteldeutsche Verlag heute wieder unverzichtbarer Bestandteil des Literaturbetriebs und bietet Programmvielfalt aus Mitteldeutschland. Über 1500 Autor*innen, Fotograf*innen, Übersetzer*innen und Herausgeber*innen haben dieses Jubiläum möglich gemacht. Zu diesem Verlagsjubiläum ist u. a. eine Neuauflage von Erich Loests Roman »Sommergewitter« (2005) erschienen, der als großer und erster überzeugender Roman über den DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953 gilt.
Erich Loest: Sommergewitter, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2021, 320 Seiten, 16 €.