Die Zeitschrift Ossietzky lebt – ein Viertel Jahrhundert nun schon! Ein Dank den Gründern. Ein Dank dem Verlag, den Autoren und der Redaktion. Ein Dank den Lesern. Sie sind es letztlich, die entscheiden, ob eine Zeitschrift überlebt. Wir Herausgeber haben in diesen 25 Jahren so manch gedruckte Zeitschrift oder Zeitung ihr Erscheinen einstellen sehen. Ossietzky bleibt nicht nur eine konstante Größe, sondern kann, gerade unter jüngeren Lesern, einen leichten Zuwachs verzeichnen. Und das ganz ohne Abhängigkeit von Anzeigenkunden, denn die gibt es nicht. Wie anders wäre dieser Erfolg zu erklären, als dass die »Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft« in Zeiten einer sich seit Jahren abzeichnenden und nunmehr unübersehbaren Selbstgleichschaltung der großen Blätter ihren selbstbewussten, wenn auch bescheidenen Platz im linken, sachlich belegten Widerspruch gefunden hat.
Auch unser Vorbild, die klassische Weltbühne, hatte nie eine Riesenauflage (gemessen an den Großen, gemessen an uns schon). Aber ihr Selbstverständnis als »undoktrinär-sozialistische, pazifistische und aktivistische Tribüne der Intellektuellen Linken« wurde neben Carl von Ossietzky getragen, wie wir bewundernd, wenn auch nicht gänzlich neidlos wissen, von Autoren wie Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Stefan Heym, Lion Feuchtwanger, Erich Kästner, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Ludwig Marcuse, Walter Mehring, Erich Mühsam, Kurt Tucholsky, Friedrich Wolf, Arnold Zweig und vielen anderen. In der Weimarer Republik war Die Weltbühne die bekannteste politische Zeitschrift. Da haben wir für die nächsten 25 Jahre noch ein Ziel vor den Augen.
Sollten die veränderten politischen und intellektuellen Kräfteverhältnisse einen mehr Selbstbescheidung lehren? Dazu hat dieses Projekt einer kleinen, aber feinen links-intellektuellen Plattform schon zu viele Stürme überstanden. Am spektakulärsten wohl im März 1929 der Artikel des Flugzeugkonstrukteurs Walter Kreiser: »Windiges aus der deutschen Luftfahrt«. Über den heimlichen Aufbau einer deutschen Luftwaffe, unter Umgehung des Verbots des Versailler Vertrags. Der damalige Oberreichsanwalt warf Ossietzky vor, er hätte vorsätzlich Nachrichten verbreitet, deren Geheimhaltung für das Wohl des Deutschen Reiches erforderlich ist, und dadurch die Sicherheit des Reiches gefährdet. (Eine Argumentation, die Julian Assange bekannt vorkommen muss.)
Am 7. März 1933 erschien für lange Zeit die letzte Ausgabe der in Berlin Charlottenburg herausgegebenen Weltbühne. Das Verlagsvermögen wurde durch die Geheime Staatspolizei beschlagnahmt. Ossietzky war da schon in Haft. Eine Exilvariante war vorbereitet – bis 1939 erschien die Wiener Weltbühne, dann musste die Redaktion nach Prag verlegt werden, wo Hermann Budzislawski die Leitung übernahm.
Nach dem Krieg bemühte sich Carls Witwe Maud von Ossietzky zunächst in der britischen Besatzungszone um die Wiederbelebung des »Blättchens«, wie die einst von Siegfried Jacobsohn begründete Zeitschrift in der Redaktion mit wohlwollendem Spitznahmen genannt wurde. Maud wurde aber hingehalten und bekam Signale, die sie fürchten ließ, dass »die Zeitschrift im antikommunistischen Fahrwasser segeln sollte«. 1946 erhielt sie von der sowjetischen Militärverwaltung die Erlaubnis, die Die Weltbühne im sowjetischen Sektor neu herauszugegeben. Hermann Budzislawski wurde wieder Chefredakteur. Künftig konnte man die neue Weltbühne immerhin auch in der Bundesrepublik beziehen. »Die Weltbühne erschien jetzt wieder, mein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen. Heute weiß ich, dass ich damals richtig entschieden hatte«, so Maud von Ossietzky 20 Jahre später in ihren Lebenserinnerungen.
Das Profil der DDR-Weltbühne war mit dem aus der Weimarer Republik nicht zu vergleichen; doch an den Grundfesten sollte auch in diesem Druckerzeugnis nicht gerüttelt werden. Daraus bezog die Zeitschrift in der DDR ihre Spezifik: Sie war intellektueller, individueller, kulturvoller, sprachbewusster und abwechslungsreicher als die meisten anderen Blätter. Es gab ironische Glossen, kritische Alltagsbetrachtungen oder Reportagen aus fernen Ländern. Die Leser dankten es mit einer Auflage von 170 000 – zehnmal mehr als zu besten Weimarer Zeiten. Ich glaube sagen zu können, das Wochenblatt ist mit Anstand durch die Zeiten gekommen. Als junge Autorin habe ich es als ehrenvoll empfunden, dort gedruckt zu werden.
Die eigentliche Zeitenwende, die von 1990, sollte auch dieser Zeitung kein Überleben gönnen. Das Direktorat Sondervermögen der Treuhandanstalt war im Spiel, Kanzleien forderten Unterlassungserklärungen, den angeblich seit 1991 geschützten Titel »Weltbühne« nicht mehr zu verwenden. Im Juli 1993 erschien das letzte Heft unter Helmut Reinhardt – ob die neuen Herren das Recht hatten, ihn erst abzumahnen und dann zu entlassen, wurde damals nicht in Frage gestellt. Es ging nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um Titelrechte.
Dass Maud von Ossietzky beschwor, sie habe alle Rechte 1934 an Hermann Budzislawski übertragen, nutzte nichts. Mehrere Verlage, Briefkastenfirmen, Immobilienmakler und auch der in den USA lebende, inzwischen 82-jährige Sohn von Siegfried Jakobsohn, Peter, beanspruchten Inhaber des Titelrechts zu sein, ohne die Zeitschrift übernehmen zu wollen. So wurde die kleine Bühne der Welt stillgelegt, ein Neustart unter Rechtsstreitigkeiten verschüttet.
Zum Glück gab es vor 25 Jahren hartnäckige, linke Publizisten, die sich damit nicht zufriedengaben. Und damit nähern wir uns im Sauseschritt der Geburtsstunde von Ossietzky. Der Hannoveraner Eckart Spoo und der Hamburger Otto Köhler schrieben: »Wir müssen feststellen: Andere sitzen auf angemaßten oder realen Titelrechten. Mögen sie sitzen bleiben. Wir dagegen wollen etwas tun.« Nach dem Willen der Ansprucherheber sollten sie nichts tun, sondern unterlassen. »Sie wollen offenbar verhindern, dass ein Blatt in der publizistischen Tradition der Weltbühne erscheint.« Doch Spoo wollte keine Neugründung gegen Erben durchsetzen. So kam der Name »Ossietzky« in Betracht. »Und so werden wir das Blatt nennen, denn darin ist die beste Tradition verkörpert, an die wir anknüpfen wollen – eine Tradition, die nicht verloren gehen darf.« »Ohne freundlichen Zuspruch von Rosalinda von Ossietzky-Palm (der Tochter) wäre die Zeitschrift Ossietzky nicht entstanden«, räumte Eckart Spoo später ein.
Ohne von diesen Bemühungen zu wissen, hatten 1997 gleichzeitig auch in Ostberlin die Publizisten Ulrich Backmann und Jörn Schütrumpf die Idee der Wiederbelebung, dort unter dem Namen »Das Blättchen«. Als man voneinander erfuhr, wollte man eine Einigung finden. Eine Idee war, dass die Ost- und Westredaktion ihr Blatt alternierend herausgeben, in Bezug zueinander. Doch daraus wurde nichts. Gebrannt durch Wenderfahrungen, fürchtete man im Osten eine »freundliche Übernahme«, den Verlust der Eigenständigkeit. Woher sollten sie wissen, dass diese Befürchtung bei einem Eckart Spoo ganz sicher unnötig war. Immerhin sind beide Zeitschriften nie als Konkurrenten aufgetreten, eher als sich begleitende Partner. Das Blättchen wird nun auch seinen 25. feiern, als online-Zeitung. Glückwunsch an beide.
Die Berechtigung der Wertschätzung ist langjährigen Ossietzky-Lesern bekannt. Eckart Spoo und Otto Köhler haben ihr Netzwerk hochkarätiger Autoren eingebracht, meist aus dem linken Spektrum der bundesdeutschen Opposition. Spezialisten für Geschichte, Wirtschaft, Demokratie, Recht, Kunst und gelegentlich auch Feminismus. Von Anfang an wurden auch Autoren der DDR-Weltbühne einbezogen. Wir trafen uns im Büro, im Haus der Demokratie. Ich weiß, dass Spoo fast täglich bis nach Mitternacht um die aufklärerischsten Themen und besten Formulierungen rang. In letzter Zeit hatte er die Ostdeutsche Redakteurin Katrin Kusche in die Arbeit einbezogen. Nach seinem für uns alle schmerzlichen Tod im Dezember 2016 war es ein Glück, dass sie die Arbeit und die Autoren nahtlos übernehmen konnte. Unter ihrer Redaktion kamen eigene Nuancen ins Blatt, aus den Bewegungen, in denen sie aktiv war, mit dem besonderen Schwerpunkt Ökologie.
Als sie sich Ende 2020 neu orientieren wollte, konnte der erfahrene Lektor, Herausgeber und Autor Rüdiger Dammann für die Leitung der Zeitschrift gewonnen werden. In der 90er Jahren war er mein Lektor im Rowohlt Verlag, als Mitherausgeber der kritischen Reihe rororo-aktuell, später, nach der von vielen Hoffnungen begleiteten Osterweiterung der EU, leitete er für einige Jahre die wunderbare kulturpolitische Zeitschrift Kafka. Zeitschrift für Mitteleuropa. Auch er fügte den treuen Stamm-Autoren von Ossietzky solche aus seinem Umfeld hinzu und schreibt selbst prägnant, wenn ein Thema fehlt oder ihn umtreibt.
Derart gehen wir nun mit unseren Autoren zuversichtlich ins nächste Jahrzehnt. Und laden die Leser ein, mitzukommen, noch ein paar Töchter, Söhne und Enkel mitzubringen und sich informieren, ermutigen und überraschen zu lassen.