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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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25 Jahre Ossietzky

Die Zeit­schrift Ossietzky lebt – ein Vier­tel Jahr­hun­dert nun schon! Ein Dank den Grün­dern. Ein Dank dem Ver­lag, den Autoren und der Redak­ti­on. Ein Dank den Lesern. Sie sind es letzt­lich, die ent­schei­den, ob eine Zeit­schrift über­lebt. Wir Her­aus­ge­ber haben in die­sen 25 Jah­ren so manch gedruck­te Zeit­schrift oder Zei­tung ihr Erschei­nen ein­stel­len sehen. Ossietzky bleibt nicht nur eine kon­stan­te Grö­ße, son­dern kann, gera­de unter jün­ge­ren Lesern, einen leich­ten Zuwachs ver­zeich­nen. Und das ganz ohne Abhän­gig­keit von Anzei­gen­kun­den, denn die gibt es nicht. Wie anders wäre die­ser Erfolg zu erklä­ren, als dass die »Zwei­wo­chen­schrift für Politik/​Kultur/​Wirtschaft« in Zei­ten einer sich seit Jah­ren abzeich­nen­den und nun­mehr unüber­seh­ba­ren Selbst­gleich­schal­tung der gro­ßen Blät­ter ihren selbst­be­wuss­ten, wenn auch beschei­de­nen Platz im lin­ken, sach­lich beleg­ten Wider­spruch gefun­den hat.

Auch unser Vor­bild, die klas­si­sche Weltbühne, hat­te nie eine Rie­sen­auf­la­ge (gemes­sen an den Gro­ßen, gemes­sen an uns schon). Aber ihr Selbst­ver­ständ­nis als »undok­tri­när-sozia­li­sti­sche, pazi­fi­sti­sche und akti­vi­sti­sche Tri­bü­ne der Intel­lek­tu­el­len Lin­ken« wur­de neben Carl von Ossietzky getra­gen, wie wir bewun­dernd, wenn auch nicht gänz­lich neid­los wis­sen, von Autoren wie Ernst Bloch, Ber­tolt Brecht, Ste­fan Heym, Lion Feucht­wan­ger, Erich Käst­ner, Egon Erwin Kisch, Hein­rich Mann, Lud­wig Mar­cuse, Wal­ter Meh­ring, Erich Müh­sam, Kurt Tuchol­sky, Fried­rich Wolf, Arnold Zweig und vie­len ande­ren. In der Wei­ma­rer Repu­blik war Die Weltbühne die bekann­te­ste poli­ti­sche Zeit­schrift. Da haben wir für die näch­sten 25 Jah­re noch ein Ziel vor den Augen.

Soll­ten die ver­än­der­ten poli­ti­schen und intel­lek­tu­el­len Kräf­te­ver­hält­nis­se einen mehr Selbst­be­schei­dung leh­ren? Dazu hat die­ses Pro­jekt einer klei­nen, aber fei­nen links-intel­lek­tu­el­len Platt­form schon zu vie­le Stür­me über­stan­den. Am spek­ta­ku­lär­sten wohl im März 1929 der Arti­kel des Flug­zeug­kon­struk­teurs Wal­ter Krei­ser: »Win­di­ges aus der deut­schen Luft­fahrt«. Über den heim­li­chen Auf­bau einer deut­schen Luft­waf­fe, unter Umge­hung des Ver­bots des Ver­sailler Ver­trags. Der dama­li­ge Ober­reichs­an­walt warf Ossietzky vor, er hät­te vor­sätz­lich Nach­rich­ten ver­brei­tet, deren Geheim­hal­tung für das Wohl des Deut­schen Rei­ches erfor­der­lich ist, und dadurch die Sicher­heit des Rei­ches gefähr­det. (Eine Argu­men­ta­ti­on, die Juli­an Assan­ge bekannt vor­kom­men muss.)

Am 7. März 1933 erschien für lan­ge Zeit die letz­te Aus­ga­be der in Ber­lin Char­lot­ten­burg her­aus­ge­ge­be­nen Weltbühne. Das Ver­lags­ver­mö­gen wur­de durch die Gehei­me Staats­po­li­zei beschlag­nahmt. Ossietzky war da schon in Haft. Eine Exil­va­ri­an­te war vor­be­rei­tet – bis 1939 erschien die Wie­ner Weltbühne, dann muss­te die Redak­ti­on nach Prag ver­legt wer­den, wo Her­mann Bud­zis­law­ski die Lei­tung übernahm.

Nach dem Krieg bemüh­te sich Carls Wit­we Maud von Ossietzky zunächst in der bri­ti­schen Besat­zungs­zo­ne um die Wie­der­be­le­bung des »Blätt­chens«, wie die einst von Sieg­fried Jacob­sohn begrün­de­te Zeit­schrift in der Redak­ti­on mit wohl­wol­len­dem Spitz­nah­men genannt wur­de. Maud wur­de aber hin­ge­hal­ten und bekam Signa­le, die sie fürch­ten ließ, dass »die Zeit­schrift im anti­kom­mu­ni­sti­schen Fahr­was­ser segeln soll­te«. 1946 erhielt sie von der sowje­ti­schen Mili­tär­ver­wal­tung die Erlaub­nis, die Die Weltbühne im sowje­ti­schen Sek­tor neu her­aus­zu­ge­ge­ben. Her­mann Bud­zis­law­ski wur­de wie­der Chef­re­dak­teur. Künf­tig konn­te man die neue Weltbühne immer­hin auch in der Bun­des­re­pu­blik bezie­hen. »Die Weltbühne erschien jetzt wie­der, mein Leben hat­te wie­der einen Sinn bekom­men. Heu­te weiß ich, dass ich damals rich­tig ent­schie­den hat­te«, so Maud von Ossietzky 20 Jah­re spä­ter in ihren Lebenserinnerungen.

Das Pro­fil der DDR-Weltbühne war mit dem aus der Wei­ma­rer Repu­blik nicht zu ver­glei­chen; doch an den Grund­fe­sten soll­te auch in die­sem Druckerzeug­nis nicht gerüt­telt wer­den. Dar­aus bezog die Zeit­schrift in der DDR ihre Spe­zi­fik: Sie war intel­lek­tu­el­ler, indi­vi­du­el­ler, kul­tur­vol­ler, sprach­be­wuss­ter und abwechs­lungs­rei­cher als die mei­sten ande­ren Blät­ter. Es gab iro­ni­sche Glos­sen, kri­ti­sche All­tags­be­trach­tun­gen oder Repor­ta­gen aus fer­nen Län­dern. Die Leser dank­ten es mit einer Auf­la­ge von 170 000 – zehn­mal mehr als zu besten Wei­ma­rer Zei­ten. Ich glau­be sagen zu kön­nen, das Wochen­blatt ist mit Anstand durch die Zei­ten gekom­men. Als jun­ge Autorin habe ich es als ehren­voll emp­fun­den, dort gedruckt zu werden.

Die eigent­li­che Zei­ten­wen­de, die von 1990, soll­te auch die­ser Zei­tung kein Über­le­ben gön­nen. Das Direk­to­rat Son­der­ver­mö­gen der Treu­hand­an­stalt war im Spiel, Kanz­lei­en for­der­ten Unter­las­sungs­er­klä­run­gen, den angeb­lich seit 1991 geschütz­ten Titel »Weltbühne« nicht mehr zu ver­wen­den. Im Juli 1993 erschien das letz­te Heft unter Hel­mut Rein­hardt – ob die neu­en Her­ren das Recht hat­ten, ihn erst abzu­mah­nen und dann zu ent­las­sen, wur­de damals nicht in Fra­ge gestellt. Es ging nicht um Wirt­schaft­lich­keit, son­dern um Titelrechte.

Dass Maud von Ossietzky beschwor, sie habe alle Rech­te 1934 an Her­mann Bud­zis­law­ski über­tra­gen, nutz­te nichts. Meh­re­re Ver­la­ge, Brief­ka­sten­fir­men, Immo­bi­li­en­mak­ler und auch der in den USA leben­de, inzwi­schen 82-jäh­ri­ge Sohn von Sieg­fried Jakobsohn, Peter, bean­spruch­ten Inha­ber des Titel­rechts zu sein, ohne die Zeit­schrift über­neh­men zu wol­len. So wur­de die klei­ne Büh­ne der Welt still­ge­legt, ein Neu­start unter Rechts­strei­tig­kei­ten verschüttet.

Zum Glück gab es vor 25 Jah­ren hart­näcki­ge, lin­ke Publi­zi­sten, die sich damit nicht zufrie­den­ga­ben. Und damit nähern wir uns im Sau­se­schritt der Geburts­stun­de von Ossietzky. Der Han­no­ve­ra­ner Eck­art Spoo und der Ham­bur­ger Otto Köh­ler schrie­ben: »Wir müs­sen fest­stel­len: Ande­re sit­zen auf ange­maß­ten oder rea­len Titel­rech­ten. Mögen sie sit­zen blei­ben. Wir dage­gen wol­len etwas tun.« Nach dem Wil­len der Anspruch­er­he­ber soll­ten sie nichts tun, son­dern unter­las­sen. »Sie wol­len offen­bar ver­hin­dern, dass ein Blatt in der publi­zi­sti­schen Tra­di­ti­on der Weltbühne erscheint.« Doch Spoo woll­te kei­ne Neu­grün­dung gegen Erben durch­set­zen. So kam der Name »Ossietzky« in Betracht. »Und so wer­den wir das Blatt nen­nen, denn dar­in ist die beste Tra­di­ti­on ver­kör­pert, an die wir anknüp­fen wol­len – eine Tra­di­ti­on, die nicht ver­lo­ren gehen darf.« »Ohne freund­li­chen Zuspruch von Rosa­lin­da von Ossietzky-Palm (der Toch­ter) wäre die Zeit­schrift Ossietzky nicht ent­stan­den«, räum­te Eck­art Spoo spä­ter ein.

Ohne von die­sen Bemü­hun­gen zu wis­sen, hat­ten 1997 gleich­zei­tig auch in Ost­ber­lin die Publi­zi­sten Ulrich Back­mann und Jörn Schütrumpf die Idee der Wie­der­be­le­bung, dort unter dem Namen »Das Blätt­chen«. Als man von­ein­an­der erfuhr, woll­te man eine Eini­gung fin­den. Eine Idee war, dass die Ost- und West­re­dak­ti­on ihr Blatt alter­nie­rend her­aus­ge­ben, in Bezug zuein­an­der. Doch dar­aus wur­de nichts. Gebrannt durch Wen­d­er­fah­run­gen, fürch­te­te man im Osten eine »freund­li­che Über­nah­me«, den Ver­lust der Eigen­stän­dig­keit. Woher soll­ten sie wis­sen, dass die­se Befürch­tung bei einem Eck­art Spoo ganz sicher unnö­tig war. Immer­hin sind bei­de Zeit­schrif­ten nie als Kon­kur­ren­ten auf­ge­tre­ten, eher als sich beglei­ten­de Part­ner. Das Blätt­chen wird nun auch sei­nen 25. fei­ern, als online-Zei­tung. Glück­wunsch an beide.

Die Berech­ti­gung der Wert­schät­zung ist lang­jäh­ri­gen Ossietzky-Lesern bekannt. Eck­art Spoo und Otto Köh­ler haben ihr Netz­werk hoch­ka­rä­ti­ger Autoren ein­ge­bracht, meist aus dem lin­ken Spek­trum der bun­des­deut­schen Oppo­si­ti­on. Spe­zia­li­sten für Geschich­te, Wirt­schaft, Demo­kra­tie, Recht, Kunst und gele­gent­lich auch Femi­nis­mus. Von Anfang an wur­den auch Autoren der DDR-Weltbühne ein­be­zo­gen. Wir tra­fen uns im Büro, im Haus der Demo­kra­tie. Ich weiß, dass Spoo fast täg­lich bis nach Mit­ter­nacht um die auf­klä­re­risch­sten The­men und besten For­mu­lie­run­gen rang. In letz­ter Zeit hat­te er die Ost­deut­sche Redak­teu­rin Kat­rin Kusche in die Arbeit ein­be­zo­gen. Nach sei­nem für uns alle schmerz­li­chen Tod im Dezem­ber 2016 war es ein Glück, dass sie die Arbeit und die Autoren naht­los über­neh­men konn­te. Unter ihrer Redak­ti­on kamen eige­ne Nuan­cen ins Blatt, aus den Bewe­gun­gen, in denen sie aktiv war, mit dem beson­de­ren Schwer­punkt Ökologie.

Als sie sich Ende 2020 neu ori­en­tie­ren woll­te, konn­te der erfah­re­ne Lek­tor, Her­aus­ge­ber und Autor Rüdi­ger Dam­mann für die Lei­tung der Zeit­schrift gewon­nen wer­den. In der 90er Jah­ren war er mein Lek­tor im Rowohlt Ver­lag, als Mit­her­aus­ge­ber der kri­ti­schen Rei­he rororo-aktu­ell, spä­ter, nach der von vie­len Hoff­nun­gen beglei­te­ten Ost­erwei­te­rung der EU, lei­te­te er für eini­ge Jah­re die wun­der­ba­re kul­tur­po­li­ti­sche Zeit­schrift Kaf­ka. Zeit­schrift für Mit­tel­eu­ro­pa. Auch er füg­te den treu­en Stamm-Autoren von Ossietzky sol­che aus sei­nem Umfeld hin­zu und schreibt selbst prä­gnant, wenn ein The­ma fehlt oder ihn umtreibt.

Der­art gehen wir nun mit unse­ren Autoren zuver­sicht­lich ins näch­ste Jahr­zehnt. Und laden die Leser ein, mit­zu­kom­men, noch ein paar Töch­ter, Söh­ne und Enkel mit­zu­brin­gen und sich infor­mie­ren, ermu­ti­gen und über­ra­schen zu lassen.