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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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15 Jahre Karlshorster Gespräche

Über­steu­er­te Musik begrüß­te am 27. Novem­ber 22 die erwar­tungs­vol­len Besu­cher der seit rund 15 Jah­ren im Kul­tur­haus lau­fen­den Rei­he »Karls­hor­ster im Gespräch«. Noch freie Stüh­le wur­den gerückt und Bekann­ten zuge­scho­ben, ver­spä­te­te Gäste jon­glier­ten gefüll­te Glä­ser und Papp­tel­ler mit Ber­li­ner Bou­let­ten und Baut­z­ner Senf quer durch die Rei­hen zu ihren Plät­zen und ent­schul­dig­ten sich für fehl­ge­lan­de­te Klecke­rei­en. Die Ton- und Licht­an­la­gen wur­den noch­mals zum Heu­len und Leuch­ten gebracht, und eine bekann­te lin­ke Lich­ten­ber­ger Per­sön­lich­keit des Bun­des­ta­ges wur­de zu ihrem Ehren­platz kom­pli­men­tiert. Gegen 17.00 Uhr soll­te es los­ge­hen, erwar­te­ten doch die Teams von Spa­ni­en und der BRD noch am spä­ten Abend ihre jewei­li­gen Fuß­ball-Spiel­erfol­ge bei der WM, und das war wohl auch der Grund dafür, dass der Mode­ra­tor Klaus Bor­de mehr­mals ner­vös auf sei­ne VEB Glas­hüt­ter Uhr schielte.

Ein älte­rer ergrau­ter und bei erster Wahr­neh­mung eher unauf­fäl­li­ger Herr betrat schließ­lich wie bei einem herbst­li­chen Abend­spa­zier­gang gelas­sen die Büh­ne und sang einen offen­sicht­lich bekann­ten Titel ins inter­es­sier­te Publi­kum. Bei­fall bran­de­te auf, denn der mit Span­nung erwar­te­te Gast und Gesprächs­part­ner war kein gerin­ge­rer als der inzwi­schen über 80jährige DDR-India­ner und viel­sei­ti­ge Schau­spie­ler Goj­ko Mitic, der den zumeist älte­ren Teil­neh­mern gut bekann­te Dar­stel­ler und ein­ge­wan­der­te ser­bi­sche Sports­mann aus Kult­fil­men und von Frei­licht­büh­nen aus Ost und West. Und Ver­an­stal­ter des Abends waren das Kul­tur­haus und der Bür­ger­ver­ein Karls­horst, die die Rei­he pfle­gen, nach­dem das ehe­ma­li­ge »ZK«, das Zim­mer­thea­ter Karls­horst, nach dem Abriss der alten und dem Neu­auf­bau der neu­en Kul­tur­stät­te dem ange­stamm­ten Platz am S-Bahn­hof wei­chen muss­te und die ent­stan­de­ne Lücke durch neue Ange­bo­te zu erset­zen war. Und die­ser Ver­such gelang, star­te­te im Novem­ber 2013 mit dem in Fried­richs­fel­de behei­ma­te­ten Gene­ral­mu­sik­di­rek­tor Man­fred Rosen­berg, ehe­ma­li­ger Babels­ber­ger Chef­di­ri­gent und u. a. Bear­bei­ter der Paul-und-Pau­la-Musik, und führ­te eine brei­te Palet­te von Fach­leu­ten unter­schied­lich­ster Gen­res, Zeit­zeu­gen und Per­sön­lich­kei­ten vor, bis die Coro­na-Pan­de­mie die Ket­te fast drei Jah­re lang unterbrach.

Vie­le Ver­an­stal­ter und ein viel­ge­stal­ti­ges Publi­kum lern­ten sich per­sön­lich ken­nen und schät­zen und kamen sich im Kul­tur­haus näher. Man begeg­ne­te bei­spiels­wei­se der Karls­hor­ster Arzt­fa­mi­lie Wal­dey­er und den Nach­fah­ren der adli­gen Fami­lie v. Tres­kow und erfuhr, dass sel­bi­ge in inof­fi­zi­el­ler Zusam­men­ar­beit mit DDR-Tier­park­di­rek­tor Prof. Dathe den Erhalt des Schlos­ses Fried­richs­fel­de betrei­ben und den Abriss des Hau­ses ver­hin­dern konn­te. Man konn­te Fra­gen an die orts­ver­bun­de­nen Künst­ler, Ärz­te und Zahn­ärz­te rich­ten, sich von Schrift­stel­lern wie Jan Eik über regio­na­le Kri­mi­nal­fäl­le infor­mie­ren und sich mit Zeit­zeu­gen des Kriegs­en­des über ihre auf­rüt­teln­den Erleb­nis­se aus dem Jah­re 1945 unter­hal­ten. Dazu hat­ten die Mode­ra­to­ren Hel­frit­sch und Bor­de man­che betag­ten Alt-Karls­hor­ste­rIn­nen in der häus­li­chen Umge­bung oder in Senio­ren­hei­men indi­vi­du­el­le Besu­che abge­stat­tet und ver­trau­li­che Gesprä­che mit­ein­an­der geführt, für die sie ihnen zu gro­ßem Dank ver­pflich­tet blei­ben. Dis­pu­te mit dem Lich­ten­ber­ger Bür­ger­mei­ster Grunst, mit dem Karls­hor­ster Chro­ni­sten Fauck und den auf­grund der aktu­el­len Lage in Bedräng­nis gera­te­nen Muse­ums­di­rek­tor Mor­re sowie mit der Karls­hor­ster Geist­lich­keit beleb­ten und ver­tief­ten das Wis­sen um kom­pli­zier­te Pro­blem­la­gen wie die Histo­rie des Orts­teils, die gewan­del­te Aus­stat­tung des Muse­ums, die ört­li­che Wohn­raum­si­tua­ti­on, den umstrit­te­nen regio­na­len Vor­stadt­ver­kehr und die ein­ma­li­ge Geschich­te der Pferderennbahn.

Die künst­le­ri­sche Umrah­mung der Gesprä­che gab Schü­lern und jun­gen Künst­lern aus Karls­hor­ster und benach­bar­ten Schu­len die Chan­ce, sich und ihre Ent­wick­lungs­fort­schrit­te dar­zu­stel­len. Dafür war der Päd­ago­ge und Chor­lei­ter Lothar Bösel, der im Rah­men eines Karls­hor­ster Gesprächs zwei Jah­re zuvor in den musi­ka­li­schen Unru­he­stand ver­setzt wor­den war, ein bered­tes Beispiel.

Aber zurück zu Goj­ko Mitic, der sich gesprächs- und reit­ge­wandt und nicht weni­ger kör­per­ge­stylt erwies und sich mit sei­nen vom Publi­kum mit Bei­fall quit­tier­ten Ansich­ten zur inne­ren und äuße­ren poli­ti­schen Lage wie auch sei­nen wie­der­hol­ten Mah­nun­gen zur mensch­li­chen Ver­nunft kei­ne Zurück­hal­tung auf­er­leg­te. Wie soll­te er das auch – 1940 als Kriegs­kind gebo­ren und spä­ter mit anti­fa­schi­sti­schen Künst­lern wie Inge Bor­de und Edu­ard Klein und ihrem Sohn und spä­te­ren Mode­ra­tor Klaus Bor­de befreun­det! Letz­te­rer konn­te sich – wie sein eben­falls anwe­sen­der Ex-Klas­sen­lei­ter Wolf­gang Hel­frit­sch – in den Nach­kriegs­jah­ren an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät noch gut an die Dozen­tin Dr. Lise­lot­te Wels­kopf-Hen­rich erin­nern, die bei­de einst als Stu­den­ten in die grie­chi­sche Geschich­te ein­ge­führt hat­te und – gewis­ser­ma­ßen im schrift­stel­le­ri­schen Neben­be­ruf – die »Söh­ne der gro­ßen Bärin« her­aus­ge­bracht hatte!

Dass es auch nach der »Wen­de« auf ande­rer Strecke zu einer Zusam­men­ar­beit kom­men soll­te, sei der Viel­sei­tig­keit Goj­kos wegen auch erwähnt: Im Jubi­lä­ums­jahr Fried­richs­ha­gens spiel­te er auf dem Markt­platz des Orts­teils den »alten Frit­zen«, Fried­rich II., der auf einem flot­ten Schim­mel über die Büh­ne galop­pier­te und der Ent­wick­lung des lite­ra­ri­schen, maul­beer- und natur­ver­bun­de­nen Gelän­des an der Ost­ber­li­ner Was­ser­kan­te an der Mün­dung des lei­der fast ver­ges­se­nen süf­fi­gen »Bür­ger­bräus« sei­nen Segen gab. Das Spiel­buch schrieb Wolf­gang Hel­frit­sch, mit von der Par­tie waren Mit­glie­der des Köpe­nicker Stadt­thea­ters wie der häu­fig als Köpe­nicker Haupt­mann agie­ren­de Uwe Hil­b­recht, und Regie führ­te Otto Dierichs.

Dass der Abend auch nach dem offi­zi­el­len Abschluss kein Ende neh­men woll­te, lag am Inter­es­se vie­ler Gäste, noch ein paar per­sön­li­che Wor­te mit Goj­ko Mitic zu wech­seln, Ansich­ten aus­zu­tau­schen und sich mit ihm ablich­ten zu las­sen. Möge er uns noch ein paar Jah­re erhal­ten blei­ben, um Kraft für wei­te­re Auf­trit­te und die Fort­set­zung der Debat­ten zu gewin­nen und sich noch lan­ge india­nisch oder vegan gesund zu erhalten!