Wie Russland in eine strategische Falle geriet, zeichnet der Erziehungswissenschaftler und Analyst der neoliberalen Globalisierung, Georg Auernheimer, in seinem Buch »Die strategische Falle. Die Ukraine im Weltordnungskrieg« nach. Er setzt sich darin mit Mythen und Narrativen auseinander, wie jenen, Russland habe die Ukraine ohne Anlass und aus imperialem Großmachtdenken überfallen, der Krieg sei ein nicht »provozierter Angriffskrieg«. Dass die osteuropäischen Staaten aus historischen Erfahrungen der Russischen Föderation misstrauten, und sie sich im Wesentlichen deshalb der Nato zuwandten, findet der Autor nachvollziehbar. Die USA und die Nato-Staaten griffen den Wunsch einer Nato-Integration auf. Der Weiterbau von Friedensordnung und Gemeinsamer Sicherheit scheiterte. Stattdessen kündigte man Abrüstungsverträge mit Russland und setzte auf militärische Intervention und Kriege.
Russland sah sich mehr und mehr bedroht, zumal die USA und die Nato in der Zwischenzeit weitreichende atomwaffenfähige Raketen an der Ostgrenze der EU stationiert hatten. Diese Maßnahme wertete Russland als neue Bedrohung und weitere Gefährdung seiner Sicherheit.
Die Entwicklungen skizziert der Autor mit einem besonderen Fokus auf den »Euro-Maidan« 2014 als unmittelbare Vorgeschichte des russischen Angriffs. Auernheimer legt neue Dokumente vor, die in seine These münden, dass die US-Administration sich des Nationalismus in der Ukraine bediene, um Russland in eine Falle zu locken. Ohne Zweifel gibt es viele Ansatzpunkte, um über den ukrainischen Nationalismus zu reflektieren. Eine gründliche Erforschung dieses extremen Nationalismus ist eine große Leestelle – bis heute –, umso einfacher sind die Mythen von »europäischen Werten« zu verbreiten. Bestehen die nicht eigentlich in Aufklärung, Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit und daraus folgenden, erkämpften Rechten?
Auch um die »Minsker Abkommen« 2014/15 wabern Mythen und Narrative, OSZE-Protokolle werden einseitig auslegt. In Wirklichkeit fehlte es jedoch am Willen zur Verständigung, so die Gegenthese. Wer also Dokumente und begründete Zweifel an der Mainstream-Propaganda kennenlernen will, der greife zu dem Buch.
Auch das Buch von Günter Verheugen und Petra Erler belegt an zahlreichen Quellen aus US-amerikanischen Archiven die Verantwortung vor allem der Vereinigten Staaten und Deutschlands für die kriegerischen Eskalationen seit den 1990er Jahren. Die Autoren legen eine ausgezeichnete Analyse für die Entstehung der geopolitischen Inbesitznahme der Ukraine dar, unter Führung der Vereinigten Staaten. Die setzten auf Konfrontation und Machtstreben anstelle von Verständigung und Kooperation. Russland, das sich unter der ersten Präsidentschaft stabilisierte, reagierte darauf letztlich mit militärischer Intervention, mit dem Ziel der Konsolidierung russischer Machtambitionen. Der Angriff auf die Ukraine war eine Mischung daraus und jahrzehntelanger Missachtung russischer Forderungen nach Gesprächen über Bedrohungslagen und Sicherheitsfragen, die sich ihnen aufgrund der Nato-Expansion stellten. Sehr lesenswert!
Ja, Putin und das russische Militär haben Völkerrecht gebrochen; ja, Verteidigung ist nach der UNO-Charta und unserem Grundgesetz erlaubt. Aber nicht endloses Morden. Völkerrechtsbrüche gibt es nicht erst seit den 1990er Jahren. Und hier stellt sich immer wieder die Frage, was haben die Regierenden in Europa getan, um die Gemeinsame Sicherheit auszubauen? Die Antwort hängt unabdingbar mit den Entwicklungen und Machtbestrebungen zusammen, seit die USA das Weltgeschehen dominieren. Das zeigt, dass die Charta von Paris für ein neues Europa (so heißt sie!!) von Anfang an übermächtige Gegner hatte, die imperiale Ideen verfolgen. Frieden kann nur gelernt werden, wenn die Zusammenhänge bekannt sind, das Gemeinsame gepflegt, die Vielfalt geachtet und dem Guten und Schönen Sinn gegeben wird.
Georg Auernheimer: Die strategische Falle. Die Ukraine im Weltordnungskrieg, PapyRossa Verlag, Köln 2024, 191 S., 16,90 €.
Günter Verheugen, Petra Erler: Russland, die Ukraine und der Westen: Eskalation statt Entspannung,
Wilhelm Heyne Verlag, München 2024, 336 S., 24 €.