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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Neue Liebe: Bürgerblock und post-ideologische Linke

In memo­ri­am Don Camil­lo und Peppone
Was waren sie schön, die Zei­ten von Don Camil­lo und Pep­po­ne im Ita­li­en des letz­ten Jahr­hun­derts. Ein »rech­ter« Pfar­rer und ein »lin­ker« Gewerk­schafts­füh­rer regel­ten die Dorf­an­ge­le­gen­hei­ten stets im Streit, aber letzt­lich ein­ver­nehm­lich mit­ein­an­der, der erste­re mit, der letz­te­re ohne Gott. Das Dorf und sei­ne Ord­nung hat­ten feste Struk­tu­ren, die Gren­ze zwi­schen rechts und links war so klar gezo­gen, wie ein Krei­de­strich auf dem Boden: Fabrik­be­sit­zer und Bau­ern auf der eine Sei­te (rechts), Arbei­ter und ein paar Künst­ler auf der ande­ren (links). Die einen hat­ten nicht nur Gott, son­dern auch Geld. Die ande­ren meist nur ihrer Hän­de Arbeit, aber sie waren vie­le und eine star­ke Gemein­schaft. Wie das Dorf, so die Nati­on. Links und rechts waren die poli­ti­schen Kate­go­rien eines halb­wegs gut funk­tio­nie­ren­den Natio­nal­staa­tes, der sei­ne Bewoh­ner noch zur gemein­sa­men Arbeit an einem Brut­to­so­zi­al­pro­dukt anstif­ten konn­te. Wenn die Struk­tu­ren nicht so patri­ar­cha­lisch gewe­sen wären: man könn­te sie aus heu­ti­ger Per­spek­ti­ve mit Blick auf sozia­le Gerech­tig­keit gera­de­zu als para­die­sisch bezeich­nen. Tem­pi Passati!
Ein Drei­vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter ist das Dorf und sein sozia­les Gefü­ge gesprengt, die Fabrik längst abge­wan­dert, die Bau­ern gegän­gelt in EU-Büro­kra­tie und die Gewerk­schaf­ten schein­tot. Die Dienst­lei­stun­gen der Klein­bour­geoi­sie und des Hand­werks sind vom Bäcker bis zum Schu­ster ver­schwun­den; unsicht­ba­re, ato­mi­sier­te, digi­ta­le Arbei­ter oder Influen­cer bele­ben das Stadt­bild kaum, die Dorf­knei­pe ist eben­so geschlos­sen wie die mei­sten Roll­la­den. Wo der Nati­on das sozia­le Gerip­pe genom­men wur­de, muss­te Natio­na­lis­mus in die sozi­al ent­kern­te Hül­le der Nati­on hin­ein­ge­bla­sen wer­den, um sie aus­zu­staf­fie­ren, damit sie nicht in sich zusam­men­sackt: vom Sozia­lis­mus zum Natio­na­lis­mus also, oder le socia­lis­me ou la bar­be­rie.
Es war, wie wir wis­sen, dem Kapi­tal immer egal, ob Staa­ten (national-)populistisch oder gar auto­ri­tär wer­den, Haupt­sa­che sie blei­ben kapi­ta­li­stisch. Ein paar Ver­kaufs­stel­len hal­ten im Dorf das Not­we­ni­ge vor, den Rest bringt der Paket­bo­te, zumeist mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, Pro­to­typ sub­li­mier­ter Skla­ve­rei einer post-post-post-Moder­ne, die nicht ein­mal mehr die intel­lek­tu­el­le Kraft auf­bringt, den Begriff für die nach­fol­gen­de Peri­ode der Zeit­ge­nos­sen­schaft her­vor­zu­brin­gen, mit der sie sich gera­de selbst ablöst.
Was rechts und links sein sol­len, weiß heu­te nie­mand mehr. Der Begriff Sozia­lis­mus ist ver­pönt und bringt in den Augen jun­ger Stu­die­ren­der besten­falls Erstau­nen oder Ver­wir­rung, wenn nicht gar blan­kes Ent­set­zen her­vor. Bei Kom­mu­nis­mus wis­sen sie nicht mehr, ob das mit C oder K geschrie­ben wird. Liber­tär ist das neue libe­ral, kon­ser­va­tiv ist rechts, sozi­al ist fast gar nichts mehr, und der soge­nann­te »mar­xi­sti­sche Haupt­wi­der­spruch« – der Klas­sen­kampf zwi­schen Kapi­tal und Arbeit – ist geschickt dis­si­mu­liert in gesell­schaft­li­chen »Kämp­fen« über das 56. Geschlecht, Gen­der­stern­chen oder das »Es«-Pronomen in Que­er-Debat­ten und ande­ren seman­ti­schen Spitz­fin­dig­kei­ten irgend­wo zwi­schen black peo­p­le and peo­p­le of color, ähn­lich wie es bei Mon­ty Python um die »Befrei­ungs­front Palä­sti­na« oder die »palä­sti­nen­si­sche Befrei­ungs­front« ging. Die­se poli­ti­schen und mit gro­ßer Vehe­menz aus­ge­tra­ge­nen Ablen­kungs­de­bat­ten erin­nern ein wenig an ein X hoch 2, also an mathe­ma­ti­sche Ablei­tun­gen, in denen das X trans­for­miert wird und letzt­lich verschwindet.
 
Die post­ideo­lo­gi­sche Linke
Will­kom­men im Zeit­al­ter der »post-ideo­lo­gi­schen Lin­ken«, die kei­ne »Lin­ke« mehr ist, und einer »Rech­ten«, von der zwar viel gere­det wird, die aber auch dif­fus bleibt. Da neu­er­dings fast alles »rechts« ist, was an poli­ti­scher Kri­tik nicht ins Regie­rungs­bild passt – von Coro­na-Maß­nah­men-Kri­tik über den Bau­ern­pro­test bis hin zu Frie­dens­de­mos -, ist das neue »rechts« eben­so unde­fi­nier­bar wie die Lin­ke. Außer dass einst klas­sisch lin­ke Attri­bu­te – etwa die Frei­heit: natio­na­le Frei­heits­kämp­fe und eman­zi­pa­to­ri­sche Bewe­gun­gen gal­ten zu Zei­ten von Don Camil­lo und Pep­po­ne noch als links – heu­te den »Rech­ten«, also den Popu­li­sten oder »frei­heit­li­chen« Par­tei­en zuge­schrie­ben wird, eben­so wie der ande­re lin­ke Klas­si­ker, der Frie­den. In der EU ver­sucht sich der rechts­po­pu­li­sti­sche Vik­tor Orbán gera­de an einer Frie­dens­mis­si­on im Ukrai­ne­krieg, nur um von einem sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Bun­des­kanz­ler zurück­ge­pfif­fen zu wer­den. Frie­dens­freun­de sind »rechts«, Sozi­al­de­mo­kra­ten lie­fern Waf­fen: Ver­kehr­te Welt, fast so wie beim wei­ßen Kanin­chen, dem White Rab­bit, bei Ali­ce im Wunderland …
 
Wo zwei sich nicht mehr streiten …
…freut sich der »bür­ger­li­che Block«. Der »bür­ger­li­che Block«, das ist, wenn aus dem ver­ti­ka­len rechts/​links als Krei­de­li­nie zur Demar­ka­ti­on des poli­ti­schen Spek­trums eine hori­zon­ta­le Linie zwi­schen oben/​unten gezo­gen wird. Das Frank­reich unter Emma­nu­el Macron ist seit län­ge­rem das »Muster­länd­le« des »block bour­geois«, wo sich nun­mehr der CAC40, der fran­zö­si­sche Leit­zins (rechts), und die Kavi­ar­lin­ke (links) als gemein­sa­mes »oben« dem »Frank­reich, das früh auf­steht« (»la France qui se lève tôt«) gegen­über­ste­hen. Und früh auf­ste­hen muss nur noch das peu­ple, das Volk, meist auf dem Land.

Frank­reich macht’s vor
Wenn »König Emma­nu­el« – eine ange­mes­se­ne Wort­wahl zur Cha­rak­te­ri­sie­rung neo-feu­da­ler Ver­hält­nis­se – jetzt wie­der mit einer »Alli­anz der Mit­te« durch­re­gie­ren und sei­ne neo­li­be­ra­len Geset­zes­pro­jek­te umset­zen kann, dann bekom­men die­je­ni­gen Wäh­ler, die mehr­heit­lich ent­we­der für die Volks­front (links) oder das Ras­sem­blem­ent (rechts) gestimmt haben – also nicht für die Mit­te – wohl nichts von dem auf dem Wahl­zet­tel Ersehn­ten: Sozia­le Sicher­heit auf der Lin­ken und voll­stän­di­ge Sicher­heit vor Migra­ti­on auf der Rech­ten, die Kern­an­lie­gen links- und rechts­po­pu­li­sti­scher Stimmabgaben.
Gera­de ist der »Block Bour­geois« in Frank­eich wie­der wie eine Pup­pe aus der Wahl­ur­ne her­vor­ge­sprun­gen, allen Freu­den­tän­zen über den »Front Popu­lai­re« zum Trotz. Die für die Wah­len reflex­ar­tig gebün­del­te Lin­ke, der neue »Front Popu­lai­re«, schnell zusam­men­ge­wür­felt von Grü­nen bis Kom­mu­ni­sten, fast ohne irgend­ei­ne pro­gram­ma­ti­sche Kon­gru­enz, nur um »bar­ra­ge« (einen Damm) gegen das Ras­sem­blem­ent zu machen, war schon zer­sto­ben, noch bevor sich am Wahl­abend der Jubel am Place de Répu­bli­que gelegt hatte.
Wäh­rend das lin­ke enfant ter­ri­ble Jean-Luc Mélen­chon von La France Inso­u­mi­se (man stel­le sich in Deutsch­land eine Par­tei mit dem Namen »Die unbeug­sa­men oder die auf­müp­fi­gen Deut­schen« vor!) sich schon als Pre­mier­mi­ni­ster wähn­te, spal­tet Macron geschickt den lin­ken wie den rech­ten Block, sucht Mélen­chon eben­so wie das um 54 Sit­ze erstark­te Ras­sem­blem­ent Natio­na­le als jeweils »radi­ka­le Rän­der« abzu­schnei­den und die mode­ra­ten Ele­men­te der bei­den Blöcke – die Sozia­li­sten (Mit­te-links) und die ein­sti­gen Gaul­li­sten, les Répu­bli­ka­ins (Mit­te rechts) – für sei­ne »Alli­anz der Mit­te« zu ver­ein­nah­men. Frank­reichs bis­he­ri­ge Par­la­ments­prä­si­den­tin aus dem Macron-Lager ist schon wie­der die neue, gewählt mit den Stim­men der Republikaner.
Pre­mier­mi­ni­ster Attal ist mitt­ler­wei­le zurück­ge­tre­ten. Frank­reich, das laut einer lako­ni­schen Le Mon­de Poli­tique inzwi­schen von der poli­ti­schen Kri­se beim Cha­os ange­kom­men ist, sucht hän­de­rin­gend einen neu­en, der aber – allen Spe­ku­la­tio­nen und Hoff­nun­gen zum Trost – eben­falls wie­der aus »der Mit­te« kom­men dürf­te. »König Emma­nu­el« hat es laut Ver­fas­sung in der Hand zu ent­schei­den, wen er aus dem Hut zau­bern möch­te. Ganz allein. Dass wohl alles beim Alten blei­ben wird, ist das Ergeb­nis der Neuwah­len in der fran­zö­si­schen Spiel­art der »simu­la­ti­ven Demo­kra­tie«, die heu­te fast das Cha­rak­te­ri­sti­kum west­li­cher Staa­ten gewor­den ist. Eine lin­ke Mehr­heit für eine Rück­nah­me der Ren­ten­re­form, der Traum des Front Répu­bli­cain, dürf­te es jeden­falls nicht geben.
 
The code of capital
Denn – wie die Sozi­al­wis­sen­schaf­ten gründ­lich erforscht haben: Es regiert längst The Code of Capi­tal. Aus ein­sti­gen Repu­bli­ken – egal, ob fran­zö­si­sche, bun­des­deut­sche oder ita­lie­ni­sche – in Zei­ten der »tren­te glo­rieue­ses«, der drei­ßig Jah­re zwi­schen 1945 und 1975, in denen Don Camil­lo und Pep­po­ne noch unter­wegs waren, sind neo­li­be­ra­le, staat­li­che Enti­tä­ten gewor­den, in denen sich das Rechts­staat­lich­keits­prin­zip – rule of law – ver­selb­stän­digt und sei­ne Schwe­ster, die Sozi­al­staat­lich­keit, weg­ge­schubst hat. Der Repu­blik-Begriff war und ist nor­ma­tiv viel wei­ter gefasst als pure Rechts­staat­lich­keit, auf die heu­te so ger­ne abge­ho­ben wird. Er lässt sich im Kern mit Gemein­wohl über­set­zen, eine poli­ti­sche Ord­nung, die im Sin­ne eines Inter-Esse (eines »Zwi­schen-Sein«), also eines gesell­schaft­li­chen Mit­ein­an­ders, eine »Res Publi­ca« (Repu­blik) als gute Ord­nung her­vor­bringt, die not­wen­di­ger­wei­se nicht nur rechts­staat­lich, son­dern auch sozi­al ist; in der, pla­ka­tiv for­mu­liert, Macht und Geld nicht vor Recht kom­men. Von daher ist es kein Wun­der, dass sich das soge­nann­te Volk, le peu­ple, wenn es sich gegen den »bür­ger­li­chen Block« zur Wehr set­zen möch­te, oft in Par­tei­en orga­ni­siert, die »Repu­bli­ka­ner« hei­ßen (z. B. in den USA, in Frank­reich …), die dann aber als Popu­li­sten beschimpft wer­den. Dabei ver­tei­digt, so könn­te man for­mu­lie­ren, das Volk, le peu­ple, nur die Repu­blik, die näm­lich zu ihrem defi­ni­to­ri­schen Kern zählt, dass die Bür­ger einer Repu­blik gleich (!) sind vor dem Recht. Wenn aber ein CumEx-Steu­er­be­trü­ger trotz erschla­gen­der Bewei­se für einen Steu­er­be­trug von rund 280 Mil­lio­nen Euro vor Gericht nicht belangt wird, wäh­rend eher harm­lo­se Klein­ver­bre­cher bei Laden­dieb­stahl – wie zuletzt eine 84-Jäh­ri­ge in Mün­chen – wegen eines Dieb­stahls von 70 Euro für drei Tage in den Knast müs­sen, ist das Ver­ständ­nis von »Gleich­heit vor dem Recht« (auch) in der heu­ti­gen Bun­des­re­pu­blik ganz augen­schein­lich aus den Fugen. Der »bür­ger­li­che Block« hat die Macht, sich dem Recht zu ent­zie­hen, nur die Klei­nen wer­den gefangen.
Mit Repu­blik gemeint ist also ein ursprüng­li­cher Zustand, in dem die poli­ti­sche Macht von der öko­no­mi­schen Macht getrennt ist; in dem der öko­no­misch Mäch­ti­ge nicht gleich­sam natür­lich oder auto­ma­tisch auch die poli­ti­sche Macht über­neh­men kann oder umge­kehrt: in dem mit der poli­ti­schen Macht nicht for­mal auch die öko­no­mi­sche Macht ver­bun­den ist. Möge der König dafür sor­gen, dass nicht zu viel Geld in die Stadt kommt, denn es wird den Bür­gern nicht gut­tun, so etwa konn­te Pla­ton in der Poli­te­ia noch schrei­ben. In Zei­ten von CumEx ist es damit vor­bei. Das Kapi­tal hat den Staat längst ver­schlun­gen, wie Hegel es vor­aus­ge­sagt hat. Dass in letz­ter Kon­se­quenz Recht – dem sich alle Bür­ger der Repu­blik gleich zu unter­wer­fen haben – käuf­lich gewor­den ist, bringt der eng­li­sche Begriff Law Firm sinn­bild­lich zum Aus­druck, ganz anders als der der Anwalts­kanz­lei, die Anwalt des Rechts, nicht ihr Käu­fer ist.
Der Rest des »Aus­ver­kaufs der Repu­blik« geschah durch glo­ba­le Kon­zen­tra­ti­ons- und Zen­tra­li­sie­rungs­pro­zes­se, gegen die kei­ne klas­si­sche Lin­ke, selbst wenn es sie heu­te noch gäbe, auf natio­na­ler Ebe­ne ankäme.
In dem lusti­gen Roman »The Cir­cle«, schon ein paar Jähr­chen alt, wird die­ser Pro­zess der Über­nah­me des Staa­tes durch (digi­ta­le) Kon­zer­ne und der Über­gang in den »Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­mus« (Shosha­na Zuboff) vor­weg­ge­nom­men. Am Ende führt der fik­ti­ve Digi­tal­kon­zern (der die Geschäfts­fel­der von Goog­le, Apple, Face­book und Twit­ter geschluckt hat, indem er alle Kun­den mit einer ein­zi­gen Inter­net­iden­ti­tät aus­stat­tet) die Wah­len durch, weil die Wahl­re­gi­ster der Regie­rung nicht mehr up to date sind und der Kon­zern die bes­se­re Soft­ware hat. Black­Rock, Ama­zon und Goog­le sind heu­te das neue Trio von »Staat­lich­keit«, ohne sie geht gar nichts mehr.
Längst wird an recht­li­chen Fusi­ons­struk­tu­ren gear­bei­tet, in denen der CEO zugleich Bür­ger­mei­ster wird, in denen sich die Rei­chen über share hol­der value in die »Com­pa­ny-Stadt« ein­kau­fen, ihre Schu­len, Kin­der­gär­ten und Schwimm­bä­der bekom­men, wäh­rend das Gesin­del vor der Stadt bleibt – und die Städ­ter dem­nächst wohl wie­der die Zug­brücke hoch­zie­hen. Alles aus dem Mit­tel­al­ter bekannt.
 
Vom Adel zum Parvenü
Nach über 500 Jah­ren euro­päi­scher Geschich­te sind wir also wie­der am Aus­gangs­punkt und rück­ab­wickeln die Repu­blik, jene Stern­stun­de der Mensch­heit von 1789, als die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on aus Unter­ta­nen Bür­gern mach­te. Der zen­tra­le Unter­schied zwi­schen ein­sti­gem Feu­da­lis­mus und post-moder­nem Neo-Feu­da­lis­mus scheint nur dar­in zu lie­gen, dass der Adel Geld, Geist und Geschmack hat­te – die Medi­ci zum Bei­spiel haben wun­der­schö­ne Palä­ste hin­ter­las­sen und die bil­den­de Kunst geför­dert – wäh­rend hin­ge­gen die Par­ve­nüs und heu­ti­gen Olig­ar­chen eher in Fuß­ball­clubs und Botox inve­stie­ren und mit der Jog­ging Hose in der 1. Klas­se im Flie­ger sit­zen. C’est la clas­se qui perds de sa classe …
Wo der Luxus ins Unend­li­che steigt, »da ist auch die Not und Ver­wor­fen­heit auf der ande­ren Sei­te eben­so groß«, schrieb Hegel schon in der Phi­lo­so­phie des Rechts. Wenn also oben gegen unten regiert – »this is a war of capi­tal against labor and we will win it«, sag­te War­ren Buf­fet schon vor einer Deka­de – dann muss man sich nicht wun­dern, wenn das Volk sich wehrt, und das tut es der­zeit in allen west­li­chen Staaten.

Der neue Faschis­mus und die »extre­mi­sier­te Mitte«
Gemeint mit Volk sind die left behinds, das over fly coun­try oder ein­fach die Land­be­völ­ke­rung, jene Unsicht­ba­ren, das Volk also, das in ruhi­gen Zei­ten in der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie immer nur als abstrak­te Grö­ße vor­kommt, sich aber zum Mob geriert, wenn es das Gefühl hat, zum Nar­ren gehal­ten zu wer­den: man lau­sche dem Text des »Nar­ren­schif­fes« von Rein­hard Mey, ein Lied schon aus den 1970er Jah­ren. Wenn das Volk als »Sozi­al­pro­test« auf die Stra­ße geht – als Bau­er mit Trak­tor oder mit gel­ber Weste (»Gilet Jau­nes«) – dann ist das Volk natür­lich »rechts« und eine gei­stig ver­arm­te, post­ideo­lo­gi­sche Lin­ke hilft dem »bür­ger­li­chen Block« dabei, jeden und jede als »rechts« zu framen, der oder die nicht woke, kli­ma­hy­ste­risch, pro-Ukrai­ne, pro-Imp­fung und pro-Migra­ti­on ist: #alle­ge­gen­rechts. Und die post­ideo­lo­gi­sche Lin­ke, die erste staats­treue Anti­fa, die erste außer­par­la­men­ta­ri­sche Lin­ke in der Geschich­te der Lin­ken, die nicht herr­schafts- und kapi­tal­kri­tisch ist, ist sich nicht zu scha­de, mit dem »bür­ger­li­chen Block« im Sin­ne eines »bür­ger­li­chen Wir« (sie­he das Buch von Bun­des­prä­si­dent Stein­mei­er!) ganz im Stil auto­ri­tä­rer Syste­me Cla­queu­re für ihre #alle­ge­gen­rechts-Demos auf die Stra­ße zu schicken, und so ganz und gar unde­mo­kra­tisch einen Teil der Gesell­schaft – das gemei­ne Volk, das die Repu­blik ret­ten möch­te, aber als popu­li­stisch beschimpft wird – aus­zu­schlie­ßen und mit­hin die Ero­si­on der Demo­kra­tie zu befördern.
Die ideo­lo­gi­sier­ten, pseu­do-lin­ken Dis­kur­se wer­den inzwi­schen als alter­na­tiv­los gesetzt und mit auf Dau­er geschal­te­ter »Not­stands­ge­setz­ge­bung« (Aus­nah­me­zu­stand Coro­na, Kriegs­recht Ukrai­ne…) beglei­tet, wobei die Lin­ke scham­los offen­legt, dass sie den Tugend­pfad der kri­ti­schen Theo­rie ver­las­sen hat. Konn­te Ador­no noch for­mu­lie­ren, weil das, was ist, sich ändern kann, ist das, was ist, nicht alles, so ist in Zei­ten der apo­dik­ti­schen Post­ideo­lo­gie alles fest­ge­fah­ren: Imp­fen, Waf­fen, Wind­müh­len, Stern­chen und sonst gar nichts. Wer Zah­len kri­ti­siert oder nur den Fin­ger hebt, ist »rechts«, »Putin­ver­ste­her«, Ver­schwö­rer, Leug­ner, und mit­hin out-lawed. Auch die­ses Wort zeigt wun­der­bar die neue Lie­be­lei zum »bür­ger­li­chen Block«, der ent­schei­det, für wen das Recht noch gilt und für wen nicht (out­la­wed), wobei die post­ideo­lo­gi­sche Lin­ke die dazu­ge­hö­ri­gen Legi­ti­ma­ti­ons­dis­kur­se für den Raus­wurf erfin­det. Als Demon­stra­tio­nen erlaubt sind nur pro-Kli­ma, pro-Que­er, pro-Iden­ti­täts­po­li­tik, pro-Ver­kehrs­be­ru­hi­gung, pro-Veganismus …
Kurz: Kapi­ta­lis­mus vs. Faschis­mus ist das neue poli­ti­sche Para­dig­ma. Da letz­te­rer nicht sein darf, darf erste­rer nicht kri­ti­siert wer­den, was zu tun einst die wich­tig­ste Auf­ga­be der Lin­ken war. Das ist die Fal­le, in die die Lin­ke getappt ist: Sozi­al, geschwei­ge denn Sozia­lis­mus war gestern. Die Lin­ke hat kei­ne Wahl mehr: sie muss zum Adju­tan­ten des Kapi­tals wer­den, um den ver­meint­li­chen Faschis­mus abzu­weh­ren, den sie »rechts« wähnt, der aber auf Sei­ten der »extre­mi­sier­ten Mit­te« zu suchen ist, näm­lich genau im »bür­ger­li­chen Block«: die Ampel in Deutsch­land, die »Alli­anz der Mit­te« in Frank­reich usw. Die post­ideo­lo­gi­sche Lin­ke hat sich ent­schie­den, den ihr ideo­lo­gisch frem­den Libe­ra­lis­mus um jeden Preis gegen das auf­be­geh­ren­de Volk, le peu­ple, die Popu­li­sten durch­zu­set­zen, und lie­ber die Repu­blik zu ver­ra­ten, als »rechts« zu sein. Intel­lek­tu­el­le Dumm­heit muss bestraft werden …

Ausgabe 15.16/2024