Der junge Friedrich Engels, seine Entwicklung in Barmen und sein Werden zum späteren führenden Kommunisten der Gründungsperiode dieser Bewegung ist trotz der Fülle von Büchern über den weltweit wohl bekanntesten Wuppertaler noch viel zu wenig beschrieben worden. Der Literaturwissenschaftler und Historiker Dirk Krüger hat die Lücke gefüllt und in seinem aktuellen Buch einen Schwerpunkt auf die ersten Lebensjahrzehnte von Friedrich Engels gelegt und auf seine Prägung in Barmen; am 26. März ist es in Wuppertal auf einer gut besuchten Veranstaltung vorgestellt worden. Seine Arbeit ist aus mindestens drei Gründen wichtig.
Zum einen wird Engels häufig nur als eine Art Copilot von Karl Marx gesehen und er hat dazu auch selbst durch seine Bemerkung beigetragen, er hätte im Konzert der jungen kommunistischen Bewegung immer nur die »zweite Violine«[1] gespielt. Diese Einordnung aber tut ihm unrecht, weil er – Marx einmal für zehn Sekunden weggedacht – der überragende Kopf des wissenschaftlichen Sozialismus war. Es steckt darin eine leise Geringschätzung, die uns heute möglicherweise den Blick auf seine eigenständigen Werke verstellt, von denen im besagten Buch vor allem sein erstes – die Betrachtung über »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« – ausführlich gewürdigt wird. Friedrich Engels war aber auch in den Jahrzehnten nach seinem Zusammentreffen mit Marx der Schöpfer von Werken, die heute noch unentbehrlich sind für das Verständnis der Welt – wie seine »Dialektik der Natur«.
Zweitens gibt es zurzeit ein spürbar anwachsendes Interesse an Marx und Engels unter jüngeren Menschen auch hier in Deutschland. Wer beispielsweise im Januar 2024 mit den 3700 anderen Menschen an der Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt teilgenommen hat oder tags darauf an der sich anschließenden Liebknecht-Luxemburg-Demonstration von 12.000 Menschen, wird Tausende junge Menschen erlebt haben, die sich auf den Weg machen, in Europa nach der »Pariser Kommune« und dem realen Sozialismus von 1917 bis 1989 den dritten Anlauf zum Sozialismus zu organisieren. Es wäre fatal, wenn diese jungen Menschen Engels vor allem als einen alten Mann mit Bart vor dem geistigen Auge hätten. Er war – wie sie – vor allem ein junger Wilder, der erst alles verstehen und dann alles verändern wollte. Diesen »jungen Engels« ins Zentrum zu rücken, ist daher ein großes Verdienst.
Die, die jetzt in Bewegung geraten, tun das unter der doppelten Bedrohung von Krieg und Klimakrise. Das ist der dritte Grund dafür, Friedrich Engels wieder mehr ins Zentrum der Debatten zu holen. Denn er hat sich zu Recht einen besonderen Ruf erworben als derjenige der beiden Freunde, der sich vor allem mit Fragen des Krieges und der Natur befasst hat. Auf beiden Gebieten hat sich in den vergangenen 180 Jahren viel verändert. Wer aber die Grundlagen aller Prozesse von Krieg und von Umwelt verstehen will, wird das ohne die Hilfe von Engels nicht können. Auf ihn aufmerksam zu machen, ist daher von großer Aktualität.
Die gesamte Klimadebatte kann aus marxistischer Sicht nur in der Wechselwirkung von natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen fruchtbar geführt werden – angefangen von der Frage, ob wir es mit einer Klimakrise oder mit einer Klimakatastrophe zu tun haben bis hin zur der Frage, ob es zum Erhalt oder in immer mehr Regionen der Welt sogar zur Wiederherstellung der natürlichen menschlichen Lebensgrundlagen der Überwindung des kapitalistischen Profitsystems bedarf oder nicht. Eine von dieser Wechselwirkung abgelöste, vermeintlich rein naturwissenschaftliche Debatte um die Klimafragen führte per se auf Holzwege und in die Sümpfe. Wer Engels zur Hand nimmt, wird davor bewahrt werden.
Buchhinweis: Dirk Krüger, Der junge Engels aus der Sicht der Kommunisten heute, UZ Edition / CommPress Verlag, März 2024, 104 Seiten, 8 €.
[1] Marx Engels Werke (MEW), Band 36, S. 218