Versuch
Ein löblicher Vorsatz: Mal die Malaise der Gegenwart komisch nehmen. Mal richtig lustig machen über alles. Narren sehen wir doch allerorten wirken. Beim besten Willen ist mir als auch nur begrenzt humorvollem Menschen kaum mehr möglich, das menschliche Treiben auf diesem Teilgebiet des gefährdeten Planeten noch ernst zu nehmen. Da wird zu viel Ernst gemacht. Tödlicher Ernst. Glückselig werden die Leute, wie es scheint, nur durch Feindseligkeit. Liebevolle Zuwendung wandelt sich in formelle Empathie. Benutzen wir überhaupt noch die deutsche Sprache, um den Verstand zum Verständigen zu benutzen? Da kämpfen wir immer um oder für oder gegen etwas. Friedens-Kampf? Das ist Krampf. Das wissen wir vom gescheiterten Staatsexperiment Ost. Da waren dauernd »Sieger der Geschichte« gefordert. An jeder Niederlage gab es Schuldige. Gut oder böse. Gigantischstes Kaliber: Noch lebenden Ohrenzeugen des Ultra-Fanatismus eines Joseph Goebbels jagt seine auf »Endsieg« zielende rhetorische Frage von 1943 »Wollt ihr den totalen Krieg?« noch heute unheilbaren Schrecken ein.
Erfahrung
Ist es aussichtslos? Spaß vorbei? Hat er, zur Blödelei ausgeufert, keinen Halt mehr? Ein gerüttelt Maß Lebenserfahrung hinter mir, erlebe ich heute eine total veränderte Zeit. Ja, ich weiß es – ich bin nicht mehr passgerecht. Mit einem lachenden Auge asymmetrisch. Das sieht vieles nur noch als grotesken Teufelsspuk. Gewalttaten im Kleinen und im Großen. Eine imaginär von Ismen bestimmte Deutungshoheit kommandiert. Wer keine Ideen hat, braucht offenbar Ideologie. Ismen wie Sand am Meer. Unausgesprochen von Fanatismus und Radikalismus getrieben. Sie ruinieren mit Gewalt und Tücke die besten Ideenansätze. Von Schlagworten wie Betonbrocken bombardiert, gehen die Menschen in Deckung. Flüchten in die rechte Ecke. Üben dort, gleichgültig zu werden. Und wählen massenhaft vermeintliche Alternativen. Bereit, sich zu radikalisieren.
Wurzelbehandlung
Hallo: Radikalisieren. Marx und Engels grüßen mit dem Zitat. »Radikalsein ist, die Sachen an der Wurzel zu fassen.« Die Wurzeln (lateinisch: radices) erfassen. Eben nicht herausreißen. Auf die Spitze getriebene Ismen verletzen jedes Maß. Der eine Ismus will den anderen Ismus stets mit der Wurzel ausrotten. Wenn schon Marx geniale Gesellschaftsanalyse zu dem Monstrum eines Marxismus pervertierte, der die ganze Welt befreien will – da gibt es genug andere Beispiele. Katholizismus zu Inquisition. Pietismus zu Dogma. Kolonialismus zu Völkermord. Rassismus zu noch Schlimmeren. Sexismus zu Hexenverbrennung. Wenn Kommunismus zu Stalins Verbrechen führte, dann Antikommunismus zu Verfolgungswahn.
Nur über Semitismus herrscht eisiges Schweigen. Das große Anti davor ist der Verweis auf den primitivsten Judenhass. Der auf germanischen Runen fußende Arierkult bleibt heute zum Glück ausgeklammert. Entstellter Vererbungswahn gehörte dazu.
Kobolz der Logik
Ein Chaos berechtigter Verurteilungen mündet in ein Inferno von Schuldzuweisungen. Das macht eine sachliche Erörterung von eigenen Fehlern und Fehlentwicklungen kaum noch möglich. Logisch geht es ohnehin nicht zu. Denn das eine Volk soll stets komplett und konsequent zu sich selbst finden. Um eine anerkannt selbständige Nation zu sein. Die territoriale Größe ist dann zweitrangig. Hauptsache unabhängig. Am Abhang finden nur die Hanghühner des bekannten Witzes Halt. Das genaue Gegenteil ist die durch wachsende Migration erfolgende Durchmischung der Völker und ihrer Mentalitäten. Familien sind nicht mehr aktuell? Er und Sie, ganz verschieden, leben zusammen? Zeugen sie ethnisch reine Kinder? Da wird mit Recht Migration und Assimilation zur positiven Veränderung eines Volkes schon aus Altersgründen gewünscht. Gegenprogramm: Das vermeintlich eindeutig ethnisch definierte Maidan-Land provoziert in Krieg mündenden bewaffneten Konflikt. Der Gegenspieler stolpert mit spürbarer Übermacht als aggressiver Bösewicht par excellence auf die politische Bühne. Eine Schmierentragödie.
Kultur
In den 90er Jahren öffnete sich ein Himmel des Friedens. Da erzählten vorher Verfeindete Ost und West einander, was sie wie erlebt hatten. Auf Augenhöhe. Konkret an den einfachsten Beispielen. Da wurde klar: Wie in der politisch hochgeputschten Teilung unsere Kultur uns immer verband. Woher kommt heute die Schwierigkeit, Wort und Begriff der Kultur zu definieren? Ob es sich lohnt, dafür Geld auszugeben, wird gefragt. Scheuklappen behaftet rätseln bürokratisch orientierte Parlamentarier herum. Sie orakeln von »westlichen Werten«. Hans Marchwitza, schlichter Autor aus dem oberschlesischen Kohlenpott, wusste: »Jeder zweite Herzschlag unseres Lebens ist Kultur.« Das stand 1966 bis 2008 am Eingang des nach ihm benannten Kulturhauses Potsdam, in dem zwei kreativ restaurierte historische Bauten sinnvoll vereinigt wurden. Was zu der Zeit in solchen Kulturhäusern gepflegt wurde, wurde im Wortsinn des Ursprungs von lateinisch cultura gleich Pflege gesehen. Manche sagen Zivilisation dazu. Esskultur und Feierkultur, Bildkultur und Musik. Mode und Formgebung. Ja – und das Lachen, Humor und Satire gehören dazu.
Spaßtradition
Diktaturen sind Symbole der Unkultur. Aber sie fördern wider Willen oft ihren Gegenpart. Größte Kunstleistung als Quittung. Die besten freisinnig gelebten Kunstwerke waren oft genug staatliche oder kirchliche Auftragswerke mörderischer Potentaten. Die Medici und Michelangelo setzten eine lange Ahnenreihe fort. Der Geist von Witz und Scherz von der Antike über Shakespeare bis Heinrich Heine und E.T.A. Hoffmann hellte finstere Zeiten auf. Die von der Diktatur provozierte populäre, gewitzte Ironie hat heute Seltenheitswert. Wer nicht gehörig erschrickt und sein Entsetzen schrill und laut artikuliert, ist verdächtig. Alle namhaften deutschsprachigen Satiriker der Vergangenheit machten sich nach Kräften lustig über eine Politik mörderischer Ernsthaftigkeit. Wer heute so etwas macht, droht ein Sakrileg zu verletzen.
Marktfähigkeit
Nun wird Kunst total vom sogenannten Markt bestimmt. Es gibt für die Masse eine perfekte Unterhaltungsindustrie. Und daneben das ideale Reservat elitärer Musik-und-Theaterkultur.
Sie spiegelt die demokratische Grundordnung einer Medienfreiheit, die andere Meinungen zulässt. Ja, wie schön. Sie wird aber in erster Linie ein Marktfaktor. Und der Markt ist es, der sie nur als Kreativwirtschaft sieht. Er ist kein Auftraggeber im klassischen Sinn. Wenn ich das Radio anstelle – selbst beim Kultursender höre ich als erstes das Wort Geld. Preise, Kosten, Gewinne, Strafen, Kriminalität. Positiv und negativ. Finanzen als Leitwährung aller Kultur. Die sich ergebenden Leistungen lassen sehr zu wünschen übrig. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, um alles Bisherige umzuwälzen, sind da. Man kann darauf warten, wie schnell sie vergröbert werden und, zum praktischen Handeln gebrauchsfertig gemacht, Unheil anrichten. Die Digitalisierung begünstigt zunächst ungemein den künstlerischen Schaffensprozess. Der Mensch lebt jedoch analog – und seine Hände sind sein zweites Gehirn. Das allein gibt dem eine Form, was er schafft. Das Gewachsene und Gegebene ist sichtbar und greifbar nur als wunderbar gestaltete kulturvolle Natur. Schlag nach bei Goethe: Sie ist das Göttliche.
Tierischer Ernst
Man sagt – das Tier lache nicht. Ich habe da meine Zweifel. Tiere können sich spürbar freuen und trauern. Allein die Maschine, die Apparatur, das Aggregat, und wie das alles heißt, kann das nicht. Lieben und Lachen ist Privileg von Lebewesen. Und davon gibt es in menschlicher Ausführung weiß Gott genug auf der Welt. Eine menschlich vitale, Form gewordene Kunst kann das Herzstück der Kultur sein. Bildkunst nur als formlose Aktion? Das dürfte zu wenig sein. Eine dürftige Alltagsästhetik daneben lässt inzwischen selbst einen Hund jammern. Ist der Mensch ernsthaft damit zufrieden, wie das Neugeschaffene aussieht?