Der Trauerzug am 11. Februar 1926 in Moskau muss gewaltig gewesen sein. Neben Matrosen, Studenten und Schülern befanden sich Prominente aus Kreisen der Politik und Literatur darunter. So ließen es sich sowohl Alexandra Kollontai, Trotzki, Isaak Babel, Boris Pasternak als auch Karl Radek oder General Tuchatschewski nicht nehmen, der Toten ein letztes Geleit zu geben. So jung – 30 Jahre alt – und so schön war sie gewesen! Verwegen und klug. (Und natürlich war auch der Geheimdienst zur Stelle.)
Larissa Reissner (1895-1926), einmal die »Ikone der Revolution« genannt, war an Typhus gestorben, rausgerissen aus einem aufregenden Leben. Ihre Eltern waren Akademiker und Bolschewiki, die nach 1896 einige Jahre im deutschen Exil verbracht hatten. Larissa unterstützte als Mädchen und junge Frau die Bolschewiki mit Zeitungsarbeit und kämpfte auch direkt als Soldatin und Kundschafterin, war die erste Kommissarin (Vorbild für Wischnewskis »Optimistische Tragödie«), folgte ihrem Mann, einem ehemaligen Kommandeur der Wolgaflotte, in die afghanische Botschaft und schrieb Erzählungen und Reportagen, die Aufsehen erregten. Enge Verbindungen hatte sie nach Deutschland, und sie erfüllte manchen geheimdienstlichen Auftrag. Ein besonderes Abenteuer waren wohl die Treffen mit Oskar von Niedermayer, dessen Plan einer geopolitischen Revolution sie in Afghanistan gefunden hatte und der nichts weniger bedeutete als die Veränderung der ganzen Welt. Was für eine Vision für eine glühende Bolschewikin!
Das Leben und Wirken Larissa Reissners ist fast vergessen. Als Autorin einer Reportage über den Hamburger Aufstand von 1923 wird sie hin und wieder erwähnt, als Geliebte von Karl Radek kommt sie in Texten über ihn vor. Es ist also ein großes Verdienst Steffen Kopetzkys, sie »zurück« zu holen. Die Fakten ihres Lebens erfährt man zwar aus seinem Roman, aber die Machart des Buches leuchtet mir nicht ein.
Im Roman diskutieren die Schriftstellerkollegen über den zukünftigen neuen russischen Roman, und Kopetzky lässt Pasternak dazu sagen: »Der moderne russische Roman muss ohne Vorbild sein. Etwas Neues. So noch nie Geschriebenes. Etwas, auf das man sich nicht vorbereiten kann. Ein aus den unterschiedlichsten Bestandteilen zusammengesetztes Einzelstück, das jede Regel bricht, aber keine Regel begründet.« Fast scheint es, dass Kopetzky eben das probiert – ein aus den unterschiedlichsten Bestandteilen zusammengesetztes Einzelstück, das kein Ganzes wird. Neben Berichten verschiedenster Leute, die mal auf die Reissner getroffen waren, Protokolle, Drehbuchausschnitte, dann minutiöse Beschreibungen von Veranstaltungen und Treffen. Da mischen sich ein Stückchen Zeitgeschichte mit Krimi-Anmutungen, da werden Gedichte zitiert; es ist unklar, was der Kern des Ganzen und was nebensächlich ist. Es ist ein Konglomerat von vielem, aus dem man sich die Fakten über Larissa Reissner zusammensuchen muss. Schade, sie hätte Besseres verdient!
Steffen Kopetzky: Damenopfer. Roman. Rowohlt- Berlin, 443 S., 26 €.