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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Lest endlich Brecht

In Die Weltbühne Nr. 30 vom 24. Juli 1949 war etwas zu einem schein­bar absei­ti­gen The­ma zu lesen, näm­lich zu »Schick­lgru­bers Unter­ho­sen«, ver­fasst von Ber­li­ner Dampf. Dop­pelt rät­sel­haft und ver­dammt lan­ge her.

Herr Schick­lgru­ber – wer war das gleich? Des »Füh­rers« Vater trug ursprüng­lich die­sen Namen und ließ ihn spä­ter wegen einer Erb­schafts­an­ge­le­gen­heit in Hit­ler ändern. Und Ber­li­ner Dampf? Unter die­sem Pseud­onym schrieb Peter Edel sati­risch zu ver­schie­den­sten The­men, so zu den damals publi­zier­ten Memoi­ren von Hit­lers ehe­ma­li­gem Kam­mer­die­ner namens Karl Wil­helm Krause.

Die Glos­se fand gar Auf­nah­me in die Antho­lo­gie Scherz bei­sei­te, in der deutsch­spra­chi­ge Pro­sa-Sati­re ab 1900 gebo­ten wird und die 1966 in Mün­chen im Scherz Ver­lag von G. H. Her­zog und Erhardt Hein­old her­aus­ge­ge­ben wur­de. Für Gym­na­sia­sten ist sie wei­ter­hin ein The­ma. Das Schroe­del-Abitur (https://www.westermann.de) macht’s mög­lich, um sich mit Lite­ra­tur und Spra­che von 1945 bis zur Gegen­wart auf Prü­fun­gen in Deutsch vor­zu­be­rei­ten, die­sen Text Peter Edels zu inter­pre­tie­ren sowie Spra­che und Sprach­ge­brauch zu reflek­tie­ren. Ein Hoch auf den Verlag!

Anti­qua­risch und als Neu­auf­la­ge in 2. Auf­la­ge kam 2011 auch Karl Wil­helm Krau­se wie­der im Bochu­mer Zeit­rei­sen-Ver­lag zu Wort, der die »neu lek­to­rier­te und über­ar­bei­te­te Auf­la­ge« u. a. so avi­sier­te: »Krau­se räumt mit fal­schen Behaup­tun­gen über Hit­ler auf und stellt die Ereig­nis­se so dar, wie sie sich in Wahr­heit zutru­gen. Sei­ne hier fest­ge­hal­te­nen Erleb­nis­se sind ein wert­vol­les Doku­ment, das für die For­schung und den zeit­ge­schicht­lich Inter­es­sier­ten glei­cher­ma­ßen essen­ti­ell ist.« Wie bitte?

2023 sind die 96 Sei­ten, sofort lie­fer­bar, für 14,95 € von Tha­lia oder Welt­bild wei­ter­hin zu haben. Für 15 Euro kann eine DVD zum The­ma erwor­ben wer­den. Der eigent­li­che Skan­dal: Frei­ge­ge­ben ab 16 Jahren!

Der frei­heit­li­che Buch­markt besitzt augen­schein­lich weder Moral noch Anstand, der­lei Schund nicht anzu­bie­ten. Im Zei­tungs­la­den um die Ecke sieht es nicht anders aus. Dort wer­den seit 2016 statt mit den berüch­tig­ten »Landser«-Heften in der »Welt­krieg« nazi­brau­ne Sich­ten scham­los propagiert.

Wen wun­dern da die bedrücken­den Vor­komm­nis­se an Schu­len in Bran­den­burg, mit Ent­set­zen und Hilf­lo­sig­keit von Päd­ago­gen und Poli­tik auf­ge­nom­men. Sie und alle, denen Zivil­cou­ra­ge schein­bar ein Fremd­wort ist und die büro­kra­tie- und geset­zes­treu auf hei­li­ge Anwei­sun­gen der Obrig­keit war­ten, schei­nen Brechts Epi­log zu »Arturo Ui« weder zu ken­nen noch ver­in­ner­licht zu haben:

»Ihr aber ler­net, wie man sieht, statt stiert
Und han­delt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt› ein­mal fast die Welt regiert!
Die Völ­ker wur­den sei­ner Herr, jedoch
Dass kei­ner uns zu früh da triumphiert
Der Schoß ist frucht­bar noch, aus dem das kroch.«
Wann end­lich wird die­ser Rat beherzigt?
Es wäre im Sin­ne Peter Edels, der vor 40 Jah­ren am 7. Mai 1963 in Ber­lin an einer heim­tücki­schen Krank­heit verstarb.