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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wahl? Welche Wahl?

Vor den Kom­mu­nal­wah­len ist es erstaun­lich ruhig in Leip­zig. Sach­sens Vor­zei­ge­stadt schwelgt in einer beschau­li­chen, früh­som­mer­li­chen Schre­ber­gar­ten­stim­mung. Zwar gibt es immer wie­der Demon­stra­tio­nen aus den poli­ti­schen Rand­spek­tren und dazu­ge­hö­ri­ge Gegen­ver­an­stal­tun­gen. Die aber ste­hen in Leip­zig auch ohne kom­men­de Wah­len an der Tages­ord­nung. Und selbst der vom baye­ri­schen Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­te­te Pegi­da-Star Micha­el Stür­zen­ber­ger konn­te unlängst nicht mehr als zwei Dut­zend Anhän­ger auf die Stra­ße locken.

Dass dem­nächst gewählt wird und die Neu­ver­tei­lung der Sit­ze im Stadt­rat ein Stim­mungs­test für die Land­tags­wahl im Herbst sein könn­te, ist dem aktu­el­len Wahl­kampf nicht anzu­mer­ken. Auf den Pla­ka­ten lächeln die Kan­di­da­ten zu Slo­gans wie »Jetzt für Leip­zigs Nor­den« und »Leip­zig – lebens­wert für alle«, wobei hier unter­schied­li­che Ver­kehrs­teil­neh­mer, nicht Men­schen ver­schie­de­ner Her­kunft gemeint sind. Den Trend zur all­ge­mei­nen Flos­kel durch­bricht ein­zig die FDP, die sich gezielt an künf­ti­ge Eigen­heim­be­sit­zer wen­det (»schnel­ler bau­en«). Inhalt­lich tie­fer wird es aber auch hier nicht. Die Bei­trä­ge der AfD sind kaum wahr­nehm­bar: Ihre Pla­ka­te haben eine äußerst kur­ze Haltbarkeitszeit.

Es geht äußerst ruhig zu in Leip­zig. Viel­leicht, weil die Stadt eine Hoch­burg der Lin­ken ist. Die­se Par­tei gewann die letz­te Wahl, dicht gefolgt von den Grü­nen. Auch die­ses Mal sieht es nicht danach aus, als ob die AfD an die­sen bei­den Par­tei­en vor­bei­zie­hen könnte.

Genau das könn­te ein Trug­schluss sein. Denn das welt­städ­ti­sche Leip­zig sieht die eigent­li­chen poli­ti­schen Hot­spots in einer völ­lig ande­ren Welt: im fer­nen, abge­häng­ten Osten des Bun­des­lan­des. Dort, in Baut­zen und Gör­litz, lag die AfD beim letz­ten Mal vorn. Doch Leip­zig über­schätzt die­se Distanz und sei­ne eige­ne Strahl­kraft: Im eige­nen Speck­gür­tel führ­te kei­ne lin­ke Par­tei, son­dern die CDU – weni­ger als zwei Pro­zent vor der AfD.

Die­se blin­de Selbst­ver­ges­sen­heit sagt eini­ges über die bevor­ste­hen­de Land­tags­wahl aus. Selt­sam zurück­hal­tend gibt sich die öffent­li­che Debat­te, in der ein Sieg der AfD droht oder befürch­tet wird – dabei scheint es klü­ger, fest mit ihm zu rech­nen. Schon jetzt regiert Mini­ster­prä­si­dent Micha­el Kret­schmer not­ge­drun­gen mit allen im Land­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en außer der Lin­ken und der AfD.

Der Spiel­raum für poli­ti­sche Bünd­nis­se dürf­te nach der Wahl noch gerin­ger wer­den. Eine aktu­el­le Civey-Umfra­ge sieht die AfD leicht vor der CDU und das Bünd­nis Sahra Wagen­knecht mit elf Pro­zent auf dem drit­ten Platz. Alle übri­gen Par­tei­en düm­peln an der Fünf­pro­zent­hür­de, SPD, Lin­ke und Grü­ne dar­über, die FDP abge­schla­gen dar­un­ter. Eine Mehr­heit könn­te Kret­schmer ange­sichts die­ser Kon­stel­la­ti­on nur errei­chen, wenn er sein bis­he­ri­ges Drei­er­bünd­nis aus CDU, SPD und Grü­nen um das BSW erwei­tert oder es von ihm dul­den lie­ße. Eine sol­che Flick­schu­ste­rei müss­te erst ein­mal zustan­de gebracht und dann auch den Wäh­lern der AfD und den CDU-Leu­ten, die mit den Rech­ten lieb­äu­geln, erklärt werden.

Die Signa­le aus der gro­ßen Poli­tik stif­ten die­ser Tage mehr Ver­wir­rung als Ruhe. So emp­fahl zwar Schles­wig-Hol­steins Mini­ster­prä­si­dent Dani­el Gün­ther (CDU) sei­ner Par­tei, sich für ein Bünd­nis mit der Lin­ken zu öff­nen. Das hilft rein rech­ne­risch in Sach­sen aber auch nicht viel wei­ter. Als der SPD-Spit­zen­kan­di­dat Mat­thi­as Ecke in Dres­den nie­der­ge­schla­gen wur­de, löste das zwar bun­des­weit Empö­rung aus. Die anschlie­ßen­de Bericht­erstat­tung zeig­te aber auch, wie ver­brei­tet Gewalt gegen Poli­ti­ker inzwi­schen ist, wodurch der Angriff in sei­ner Uner­hört­heit deut­lich rela­ti­viert wur­de. Statt ein Exem­pel zu sta­tu­ie­ren, folg­te der Offen­ba­rungs­eid, dass nicht alle poli­tisch Akti­ven unter Poli­zei­schutz gestellt wer­den können.

Kret­schmer selbst trägt zum Dilem­ma, das sich in Sach­sen abzeich­net, gehö­rig bei. Mit sei­ner For­de­rung nach einem Ende der Sank­tio­nen gegen Russ­land trifft er nicht nur bei der lin­ken Wäh­ler­schaft einen Nerv, spal­tet aber den­noch. Sein Anra­ten, den Krieg in der Ukrai­ne ein­fach ein­zu­frie­ren, wirkt hin­ge­gen fast naiv. Wen er mit sei­nem Vor­schlag, das Recht auf Teil­zeit­ar­beit zu kas­sie­ren, anspre­chen will, ist hin­ge­gen völ­lig unklar. Weib­li­che Wäh­ler sicher nicht.

Abseits sol­cher Wort­mel­dun­gen gelingt es Kret­schmer bis­lang nicht, sich – ähn­lich wie sein Amts­kol­le­ge aus dem benach­bar­ten Sach­sen-Anhalt 2021 – als ein­zi­gen Bewah­rer vor einem Sieg der AfD zu sti­li­sie­ren. Damals erreich­te die CDU unter Rei­ner Hasel­off mehr als 37 Pro­zent und erlang­te sogar die Frei­heit zurück, sich sei­ne Koali­ti­ons­part­ner aus­zu­su­chen. Zuvor steck­te er in einer ähn­li­chen Zwangs­ehe wie Kret­schmer heu­te fest.

Doch der folgt nicht die­sem Bei­spiel. Mög­li­cher­wei­se, weil er eine prag­ma­ti­sche­re Ein­stel­lung zur AfD pro­pa­giert. Wie er mit den Rech­ten umge­hen möch­te, kann Kret­schmer aller­dings nur bestim­men, wenn er die Wahl im Herbst gewin­nen soll­te. Dass dem nicht so sein könn­te, zeich­net sich immer deut­li­cher ab.