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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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SPD im selbstverschuldeten Fall

Der Ukrai­ne-Krieg ist der gefähr­lich­ste Kriegs­herd seit 1945, und wie­der hat die illu­sio­nä­re Sozi­al­de­mo­kra­tie, wie bereits 1914 und 1933, ver­sagt, sich die­sem wie­der­hol­ten Völ­ker­ge­met­zel als poten­zi­ell füh­ren­de, soli­da­ri­sie­ren­den Kraft im lin­ken Spek­trum prä­ven­tiv ent­ge­gen­zu­stel­len. Im Gegen­teil: Ent­spre­chend der Zei­ten­wen­de-Rede von Scholz und sei­ner angeb­li­chen »Frie­dens­po­li­tik«, ver­sucht man die Deut­schen erneut auf einen aber­wit­zi­gen Kriegs­pfad gegen Russ­land in Stel­lung zu brin­gen und arbei­tet dar­an, neben einem Schul­den finan­zier­ten Auf­rü­stungs­pro­gramm, die Deut­schen erneut »kriegs­tüch­tig« zu machen. Zugleich trägt die bis­he­ri­ge Nato-Poli­tik dazu bei, dass die Wirt­schafts­boy­kot­te gegen Russ­land zu galop­pie­ren­den Ener­gie­ko­sten und einer Infla­ti­on geführt haben, die tie­fe Löcher in die Taschen der »Nor­mal­ver­brau­cher« reißt. Des Wei­te­ren kom­men zig­tau­sen­de Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne nach Deutsch­land, auf Kosten der völ­lig über­for­der­ten Kom­mu­nen und der Sozi­al­sy­ste­me der Bevöl­ke­rung. Die­se Migra­ti­on wird ergänzt durch Flücht­lin­ge, aus dem geschei­ter­ten Afgha­ni­stan­krieg, aus Krie­gen in Syri­en, Liba­non, Liby­en, dem Irak, deren leid­vol­le Flucht­schick­sa­le gleich­falls mit dem desa­strö­sen Vor­macht­stre­ben des US-geführ­ten Westens zusam­men­hän­gen. Dabei wer­den Steu­er­bil­lio­nen ver­schwen­det, die beim Aus­bau der Sozi­al­staa­ten, dem welt­wei­ten Abbau sozia­ler Spal­tun­gen und der exi­sten­zi­ell not­wen­di­gen öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on feh­len. Die­se ver­hee­ren­de Poli­tik gießt zugleich Was­ser auf die Müh­len natio­na­li­sti­scher Rechts­ra­di­ka­ler, die sich über­all anschicken, zur poli­ti­schen Macht zu greifen.

Und wel­che Wor­te haben wir aus dem Mund von Kanz­ler Scholz bei sei­nem Amts­an­tritt gehört? »Ich schwö­re, dass ich mei­ne Kraft dem Woh­le des deut­schen Vol­kes wid­me, sei­nen Nut­zen meh­re, Scha­den von ihm wen­de, das Grund­ge­setz und die Geset­ze des Bun­des wah­re und ver­tei­di­ge.« Der anschlie­ßend erfolg­te Ver­fas­sungs­bruch hat die Glaub­wür­dig­keits­wer­te der SPD in den Kel­ler kata­pul­tiert und den radi­ka­len Natio­na­li­sten einen gefähr­li­chen Zulauf beschert. Und die erneut in die poli­ti­sche Irre gelei­te­te SPD hat bereits jetzt die poli­ti­sche Quit­tung dafür bekom­men: Ihre Wäh­ler­zu­stim­mung, seit Hoch­zei­ten von Brandt und Schrö­der über 35 Pro­zent, ist bei den jüng­sten Euro­pa­wah­len um weit mehr als die Hälf­te abge­stürzt! Gleich­wohl den­ken die SPD-Spit­ze und die Mehr­heit ihrer blau­äu­gi­gen Par­tei­mit­glie­der offen­bar über­haupt nicht dar­an, end­lich eine radi­ka­le frie­dens- und sozi­al­po­li­ti­sche Kehrt­wen­de einzuleiten.

Wor­an liegt die­se erneu­te poli­ti­sche Blind­heit, trotz aller War­nun­gen von ehe­ma­li­gen SPD-Spit­zen­po­li­ti­kern wie Lafon­taine, Schrö­der, von Dohn­anyi oder Ver­heu­gen und ande­rer. Was sind die Haupt­ur­sa­chen für die auf dem Kopf ste­hen­de Ideo­lo­gie und Poli­tik die­ser Par­tei, die sich einst auf Marx und Engels berief? Die Ant­wort ist rela­tiv ein­fach zu fin­den: Vie­le der »Genos­sen« gehö­ren zu den pri­vi­le­gier­ten Mit­tel­schich­ten, sind zur »Arbei­ter­ari­sto­kra­tie« auf­ge­stie­gen oder ent­stam­men bereits sol­chen Fami­li­en. Und sie sind dadurch von natio­na­li­sti­scher Ideo­lo­gie des west­lich-kapi­ta­li­sti­schen Herr­schafts­sy­stems kon­ta­mi­niert. Ihnen wur­de der Irr­glau­be in die Gehir­ne gepflanzt, dass angeb­lich nur am »demo­kra­ti­schen Wesen« des glo­ba­li­sier­ten Reform­ka­pi­ta­lis­mus die Welt gene­sen kann. So ver­su­chen sie, nach dem Mot­to: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing, unter­tä­nig an der angeb­lich »Wer­te basier­ten Welt­ord­nung«, nach west­li­chem Vor­bild mit­zu­ar­bei­ten. Und die­se auf gewalt­sa­men Regime-Wech­seln basie­ren­de Kriegs­po­li­tik rich­tet sich erneut gegen Russ­land, Russ­land gilt nach wie vor als Reich des Bösen – wie auch Chi­na. Das sind von ihren Ursprün­gen im 20. Jahr­hun­dert her anti­im­pe­ria­li­sti­sche und sozia­li­sti­sche Län­der, die sich dem west­li­chen Vor­macht­stre­ben »auto­ri­tär« wider­setz­ten, um zu ver­su­chen, einen ande­ren, alter­na­ti­ven Weg des sozia­len Wan­dels zu beschrei­ten, um die rück­stän­di­gen Lebens­be­din­gun­gen ihrer Völ­ker mög­lichst rasch zu verbessern.

Das USA-Vor­macht­stre­ben, mit­samt sei­ner Bil­lio­nen-fachen Auf­rü­stung, wider­spricht dage­gen dia­me­tral dem Geist und Buch­sta­ben der UN-Char­ta, die gera­de des­halb nach 1945 so for­mu­liert und von allen Mit­glieds­län­dern unter­schrie­ben wur­de, weil sie das Vor­macht­stre­ben eines Lan­des oder einer Staa­ten­grup­pe, als Haupt­ur­sa­che bei­der Welt­krie­ge, für immer ver­hin­dern woll­te.- Dort heißt es u. a.: Um »künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen vor der Gei­ßel des Krie­ges zu bewah­ren, die zwei­mal zu unse­ren Leb­zei­ten unsag­ba­res Leid über die Mensch­heit gebracht hat, (gilt es), die Gleich­be­rech­ti­gung (…) aller Natio­nen, ob klein oder groß, erneut zu bekräf­ti­gen, (um) den sozia­len Fort­schritt und einen bes­se­ren Lebens­stan­dard in grö­ße­rer Frei­heit zu fördern«.

Dage­gen for­mu­lier­te der ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent Tru­man bereits 1947 die dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­te USA-Dok­trin, die die Ideo­lo­gie des »Kal­ten Krieg« bis in unse­re Tage her­auf­be­schwor und in über 30 »Hei­ße Krie­ge« der USA und sei­ner Ver­bün­de­ten nach 1945 mün­de­te. Zitat Tru­man: »Die frei­en und unab­hän­gi­gen Staa­ten rech­nen auf unse­re Unter­stüt­zung. Wenn wir in die­ser Füh­rungs­rol­le zau­dern, gefähr­den wir den Frie­den der Welt und scha­den der Wohl­fahrt unse­rer eige­nen Nati­on.« Das genaue Gegen­teil war und ist der Fall!

Fol­gen­de poli­ti­sche Schrit­te ris­sen vor allem die SPD und die Grü­nen, ganz zu schwei­gen von FDP und CDU/​CSU, erneut in die »Kal­te-Kriegs-Logik«: 1. Die sofor­ti­gen Nato-Ost­erwei­te­run­gen, lan­ge vor den EU-Auf­nah­men der einst mit der Sowjet­uni­on ver­bün­de­ten Staa­ten. Dies geschah, ent­ge­gen den schrift­lich pro­to­kol­lier­ten Zusa­gen an Gor­bat­schow und sei­nes frie­dens­stif­ten­den Bei­tra­ges zur Wie­der­ver­ei­ni­gung. Die Nato-Ost­erwei­te­run­gen, die das Mili­tär­bünd­nis weit über 1000 km nach Osten an die rus­si­sche Gren­ze aus­dehn­ten, tru­gen ent­schei­dend zur Zer­stö­rung der auf Ent­span­nung bau­en­den Ost­po­li­tik von Wil­ly Brandt bei. So setz­te die USA ihre Glo­bal­stra­te­gie des »Kal­ten Krie­ges« nach 1990 erneut mas­siv in Rich­tung Ost­eu­ro­pas fort. 2. Es erfolg­te die Kün­di­gung der USA aller wich­ti­gen Abrü­stungs­ver­trä­ge mit Russ­land, ins­be­son­de­re der Atom­waf­fen­be­gren­zun­gen, und damit die Zer­stö­rung der Kern­ver­ein­ba­run­gen der KSZE-Sicher­heits­ar­chi­tek­tur. 3. Es erfolg­te die mas­si­ve Unter­stüt­zung der Ver­su­che blu­ti­ger Regime-Wech­sel in vie­len ehe­ma­li­gen Sowjet­re­pu­bli­ken, mit der Ukrai­ne an der Spit­ze! Das führ­te schließ­lich zu einem blu­ti­gen Krieg mit Russ­land, zuvor aber gegen die rus­sisch­spra­chi­ge Bevöl­ke­rung in der Ost­ukrai­ne und einer radi­ka­len Abtren­nung von einer über tau­send­jäh­ri­gen gemein­sa­men Geschichte.

Das »Mins­ker-Abkom­men«, das angeb­lich eine Kom­pro­miss­lö­sung such­te, war bereits unter­schrifts­reif, wur­de aber in letz­ter Sekun­de durch west­li­che Inter­ven­ti­on (Boris John­son) zurück­ge­pfif­fen. Außer­dem gestand Frau Mer­kel spä­ter ein, dass es dort nur dar­um ging, Zeit für die Auf­rü­stung und die »Kriegs­tüch­tig­keit« der neu­en ukrai­ni­schen Macht­ha­ber zu gewin­nen. 4. Schließ­lich erfolg­te die de fac­to Auf­nah­me der Ukrai­ne in die Nato, weil sie zur aus­schlag­ge­ben Kriegs­par­tei wur­de. Jetzt hängt die Ukrai­ne voll­stän­dig am Tropf des Westens, ist also dadurch mili­tä­risch und finan­zi­ell so abhän­gig wie nie zuvor, obwohl sie ursprüng­lich radi­kal nach Unab­hän­gig­keit stre­ben woll­te. Das ange­streb­te, wahn­wit­zi­ge Ziel der Nato und der Ukrai­ne besteht offen­bar dar­in, Russ­land durch einen Abnut­zungs­krieg maxi­mal zu schwä­chen, um auch dort ein Regime-Wech­sel im Sin­ne des Westens zu errei­chen. Es geht der USA geführ­ten Nato dar­um, alle Staa­ten, ins­be­son­de­re die Groß­mäch­te Russ­land und Chi­na, die sich ihren Kapi­tal­in­ter­es­sen nicht vor­be­halt­los unter­ord­nen, impe­ri­al end­gül­tig niederzuringen.

Das über­aus per­fi­de an die­ser heu­ti­gen Poli­tik gegen Russ­land ist die dem­ago­gi­sche Behaup­tung, wonach Putin an allem Schuld sei; man ver­gleicht ihn gar mit Hit­ler. Man möch­te angeb­lich die Appease­ment-Feh­ler des »Mün­che­ner Abkom­mens« nicht wie­der­ho­len und eine Nie­der­la­ge wie in Afgha­ni­stan ver­hin­dern. Denn auch die­se habe angeb­lich Putin zu sei­nem Krieg gegen die Ukrai­ne ermun­tert. Was für eine Fehl­ein­schät­zung und Selbst­be­lü­gung hin­sicht­lich des eige­nen Schei­terns gegen ver­gleichs­wei­se schlecht bewaff­ne­te Taliban.

Die kürz­lich statt­ge­fun­de­ne angeb­li­che Frie­dens­kon­fe­renz in der Schweiz plä­dier­te nun für Ver­hand­lun­gen mit Russ­land, ohne die Maxi­mal­for­de­run­gen Selen­sky­js im Abschluss­do­ku­ment zu erwäh­nen. Bereits im Istan­bu­ler Abkom­men hat­te man sich auf die mili­tä­ri­sche Neu­tra­li­tät der Ukrai­ne geei­nigt, jedoch auch nicht auf den Rück­zug rus­si­scher Trup­pen aus der Ost­ukrai­ne und der Krim. Inzwi­schen ist klar, dass die Ukrai­ne nicht die mili­tä­ri­schen Res­sour­cen hat, dies aus eige­ner Kraft zu errei­chen. Vor einer mili­tä­ri­schen Eska­la­ti­on mit eige­nen Nato-Trup­pen schreckt aber die west­li­che Sei­te zurück, weil das den Ein­tritt in den 3. Welt­krieg bedeu­ten wür­de. Die­se Opti­on ist schon auf­grund innen­po­li­ti­scher Schwä­che weder in den USA, Frank­reich, noch Deutsch­land mehr durch­setz­bar. Es blei­ben, so schnell wie irgend­wie mög­lich, also noch in die­sem Jahr, nur noch Waf­fen­still­stand und der Ver­hand­lungs­tisch, d.h. Frie­dens­re­ge­lun­gen durch aus­zu­han­deln­de Kom­pro­mis­se auf der Basis der Rea­li­tä­ten, um wei­te­re sinn­lo­se Zer­stö­run­gen und das Blut­ver­gie­ßen auf allen Sei­ten zu been­den und den Welt­frie­den nicht wei­ter zu gefähr­den. Das blu­ti­ge Kriegs­spiel muss jetzt ein Ende haben!

Es wird end­lich Zeit, dass SPD und Grü­ne ihre illu­sio­nä­re, auf dem Kopf ste­hen­de USA-Poli­tik gründ­lich revi­die­ren und sich von dem desa­strö­sen USA-Vor­macht­stre­ben lösen, um ihre Poli­tik wie­der an den Lebens­in­ter­es­sen der deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft aus­zu­rich­ten. Es ist nur zu hof­fen, dass sich das histo­ri­sche Urteil von Hegel und Marx bewahr­hei­tet: In der Welt­ge­schich­te spie­len sich alle grö­ße­ren Ereig­nis­se zwei­mal ab – ein­mal als Tra­gö­die, ein­mal als Farce…

Und es ist zu hof­fen, dass die deut­sche Mehr­heits­ge­sell­schaft end­lich mehr zivil­ge­sell­schaft­li­chen Druck hin zu Frie­dens­ver­hand­lun­gen aus­übt und sich die Kri­tik von Hum­boldt an der hie­si­gen poli­ti­schen Kul­tur zu Her­zen nimmt: »Die Deut­schen brau­chen für jede Dumm­heit 200 Jah­re: 100 Jah­re, um sie zu bege­hen und 100 Jah­re, um sie ein­zu­se­hen.« Hei­ne übri­gens sah, weit­blickend, im Unter­ta­nen­geist die Haupt­ur­sa­che dafür: »Ein Deut­scher gleicht einem Skla­ven, der sei­nem Herrn ohne Sei­le und Peit­sche gehorcht, nur auf sein Wort hin.«