Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Schöner als das Original

Seit Mit­te April und noch bis Anfang August sind Cas­par David Fried­richs »Unend­li­che Land­schaf­ten« auf der Ber­li­ner Muse­ums­in­sel zu sehen. Mir war ein Zeit­fen­ster an einem Tag im Juni zuge­wie­sen wor­den. Sechs Wochen zuvor hat­te ich um den frü­hest­mög­li­chen Ter­min gebe­ten. Vor der Alten Natio­nal­ga­le­rie wand sich an jenem Diens­tag­nach­mit­tag trotz­dem eine Schlan­ge Ein­lass­be­geh­ren­der. Tou­ri­sten zumeist, die ihren Ber­lin-Auf­ent­halt zur Besich­ti­gung des gro­ßen Roman­ti­kers nut­zen woll­ten, ohne zu wis­sen, dass man bei solch beju­bel­ten Expo­si­tio­nen nicht ein­fach so hin­ge­hen und ein Ticket kau­fen kann. Aber offen­kun­dig wur­de die Aus­dau­er belohnt. Als ich nach Stun­den wie­der ins Freie trat, stan­den ande­re Men­schen gedul­dig in die­ser Rei­he und war­fen nei­di­sche Blicke auf jene, die mit ihrer daheim aus­ge­druck­ten Ein­tritts­kar­te sofort ein­ge­las­sen wurden.

Die Aus­stel­lung ist gewal­tig, das Publi­kums­in­ter­es­se auch. Es wer­den am Ende eini­ge hun­dert­tau­send Besu­cher gewe­sen sein, die sich an den Gemäl­den und Zeich­nun­gen ergötzt haben. Ver­mut­lich nicht nur, um die Wer­ke im Ori­gi­nal zu sehen, die längst als Iko­nen im deut­schen Bil­dungs­bür­ger-Kanon ihren Platz haben. Viel­leicht ist es auch die Sehn­sucht nach Über­sicht­lich­keit, nach Ruhe, nach geord­ne­ten Ver­hält­nis­sen, nach Frie­den schlecht­hin. Fried­richs Bäu­me sind zwar meist kahl, Bau­wer­ke oft nur Rui­nen, Nebel wal­len über und zwi­schen den Ber­gen, Men­schen, wenn über­haupt, zei­gen dem Betrach­ter die kal­te Schul­ter, der Him­mel, häu­fig mit Mond, ist dun­kel, oder Wol­ken hän­gen grau und schwer überm Was­ser. Und trotz­dem ver­ur­sacht die Düster­nis kei­ne Depression.

In einem Raum sind Licht­bil­der zu sehen, groß­for­ma­ti­ge Dias. Schöp­fer ist der Japa­ner Hiroy­u­ki Masu­ya­ma, ein Foto­graf, Jahr­gang 1968, der, wie es im Begleit­text heißt, an Orte gereist ist, an denen auch Cas­par David Fried­rich weil­te, um des­sen Wer­ke »nach­zu­bil­den«. Aus meh­re­ren Hun­dert Auf­nah­men ent­stan­den Foto­mon­ta­gen, die in Leucht­kä­sten prä­sen­tiert wer­den. So sieht man denn den »Watz­mann« leuch­ten und den »Mond­auf­gang am Meer«, und davor ste­hen Leu­te und stau­nen. Aus einem Mann bricht es her­aus. Er ist über­wäl­tigt von der Digi­tal­kunst des 21. Jahr­hun­derts, die der Vor­la­ge des 19. Jahr­hun­derts folg­te. »Das ist viel schö­ner als das Original!«

Ich fürch­te, dass er dies wirk­lich glaubte.