Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Remigration und Abschreckung

Am 18. März, ab 8.37 Uhr strahl­te der Rund­funk­sen­der NDR info einen Bei­trag im Zusam­men­hang mit den Plä­nen der EU aus, einen Mil­li­ar­den-Deal mit Ägyp­ten abzu­schlie­ßen, damit das Part­ner­land die Flucht­mög­lich­kei­ten in Rich­tung Euro­pa einschränkt.

Der Bei­trag wur­de mit einem Aus­schnitt aus einem Pro­pa­gan­da-Video der ägyp­ti­schen Regie­rung ein­ge­lei­tet, das fol­gen­der­ma­ßen beschrie­ben wur­de: »Sire­nen heu­len. Ein Mann sitzt mit ande­ren auf dem Boden. Sein Blick wirkt trau­rig. Er sagt [über­setz­ter O-Ton]: ›Der Weg, den du wählst, ist dei­ne Ent­schei­dung. Ille­ga­le Migra­ti­on ist gefähr­lich. Sie ist kei­ne Lösung.‹«

Ich war über­rascht: Das wie­der­ge­ge­be­ne Video erin­ner­te mich an ein ande­res, das Die Welt am 30.11.2007 in einem Arti­kel mit den fol­gen­den Wor­ten beschrie­ben hat­te: »Mit einem scho­nungs­lo­sen TV-Spot sol­len ille­ga­le Ein­wan­de­rer ver­an­lasst wer­den, ihr Glück nicht in Euro­pa zu suchen. Er wird der­zeit in Kame­run und in Nige­ria gezeigt, mög­li­cher­wei­se bald auch im Kon­go. Die kla­re Bot­schaft an die ver­zwei­fel­ten Men­schen lau­tet: Bleibt zu Hause!

Ein jun­ger Schwar­zer, irgend­wo in einer Tele­fon­zel­le. Eine kal­te Nacht, es reg­net in Strö­men in der Stadt, die offen­bar in Euro­pa liegt. Der Mann wählt eine Num­mer, am ande­ren Ende der Lei­tung hebt ein älte­rer Herr ab. Er sitzt in einem behag­li­chen Wohn­zim­mer in Afri­ka. ›Hal­lo Vater‹, sagt der jun­ge Mann, ›hier ist Chri­sti­an.‹ (…) ›Wie geht es Dir?‹, fragt der Vater. ›Hast Du schon eine Woh­nung? Hast Du Dich an der Uni ein­ge­schrie­ben?‹ Der Sohn ant­wor­tet aus­wei­chend, kur­ze Sequen­zen wer­den ein­ge­blen­det: Der jun­ge Mann flüch­tet vor Poli­zi­sten, sitzt bet­telnd auf der Stra­ße. ›Aidez-moi‹, ›Hel­fen Sie mir‹, hat er auf ein Pla­kat geschrie­ben. Frie­rend näch­tigt er unter einer Brücke, Kar­tons als Bett­statt. ›Ich kann Anspan­nung in Dei­ner Stim­me hören‹, fragt der Vater besorgt. ›Ach, das ist nur, weil ich den gan­zen Tag durch die Stadt gelau­fen bin. Ich habe so viel zu tun‹, gibt der Befrag­te zurück. ›Lea­ving is not always living‹ lau­tet der letz­te Satz im Abspann – ›Weg­ge­hen bedeu­tet nicht immer Leben‹.« (Der Film ent­stand unter der Feder­füh­rung des Schwei­zer Bun­des­amts für Migration.)

Ich war auf die­sen Bei­trag auf­merk­sam gewor­den, weil er das dama­li­ge EU-Pro­gramm AENEAS ver­an­schau­lich­te, und ich dar­auf­hin einen Typus des Miss­brauchs von Tra­di­tio­nen der anti­ken Mytho­lo­gie skan­da­li­sie­ren woll­te, durch den eine öko­no­misch fun­dier­te Inter­es­sen­po­li­tik Anteil an den Wei­hen des abend­län­di­schen Bil­dungs­er­bes erlan­gen will. Beson­ders per­fi­de: Der Namens­ge­ber des Pro­gramms, der Tro­ja­ner Aene­as, der mit sei­nem alten Vater Anchises auf dem Rücken und sei­nem klei­nen Sohn Asca­ni­us an der Hand aus der bren­nen­den Stadt flüch­tet, kann im Sub­text als der Ein­dring­ling in Ita­li­en inter­pre­tiert wer­den, der dort im Kampf mit den Indi­ge­nen das spä­te­re Rom grün­det und des­sen moder­ner Pro­to­typ als poten­zi­el­ler Ein­dring­lich und Usur­pa­tor fern­ge­hal­ten wer­den müsse.

Der Zynis­mus der Pro­pa­gan­da ist im ägyp­ti­schen Video der glei­che. Im aktu­el­len Fall tritt er aller­dings umso kras­ser her­vor, weil der Begriff der »Remi­gra­ti­on«, die eben schon im Vor­feld ver­hin­dert wer­den soll, hier­zu­lan­de in den ver­gan­ge­nen Mona­ten Tau­sen­de und Aber­tau­sen­de auf die Stra­ße getrie­ben hat, und weil gleich­zei­tig die EU gegen die Kri­tik in vie­len Zei­tun­gen und ande­ren Medi­en iso­liert dasteht: Kri­tik, die in unter­schied­li­chen Ton­la­gen, aber glei­chem Tenor vor­ge­bracht wird. Genannt sei­en nur weni­ge Bei­spie­le: SPIEGEL (»Euro­pa ver­kauft sein mora­li­sches Kapi­tal«), NZZ (»Mit dem Mil­li­ar­den­pa­ket kauft man sich den guten Wil­len in Kai­ro – doch Skep­sis ist gebo­ten.«), FAZ (»Hef­ti­ge Kri­tik an geplan­tem EU-Migra­ti­ons­ab­kom­men mit Ägypten«).

Der EU fällt nichts Bes­se­res ein, als die­sel­be Tak­tik zu wie­der­ho­len, die an der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung kri­ti­siert wird. Nur dass inzwi­schen auf huma­ni­sti­sche Umhül­lung mit­tels Rück­griffs auf anti­ke Mytho­lo­gie ver­zich­tet wird.