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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Green Visions

Pots­dam wird zur Stadt des Umwelt­films. Die Öko­film­tour war 2024 bereits zum 19. Mal im Land unter­wegs (»Holy Shit«, Ossietzky 11, 2024). Pre­mie­re fei­er­te das neue Festi­val Green Visi­ons, das sich eben­falls öko­lo­gi­schen The­men wid­met. Vom 30. Mai bis 2. Juni waren im Film­mu­se­um und an wei­te­ren Stand­or­ten Fil­me zu sehen, die sich der größ­ten Her­aus­for­de­rung wid­men, vor die sich die Mensch­heit durch ihre eige­ne Ent­wick­lung gestellt sieht: der glo­ba­len Ver­ant­wor­tung für unse­ren Pla­ne­ten gerecht zu werden.

Der Mensch kann nur über­le­ben, wenn es ihm gelingt, eine neue Har­mo­nie zu fin­den mit der Natur. Aber nicht das Läh­men­de, Erdrücken­de, Beäng­sti­gen­de, die Bedro­hung unse­rer Exi­stenz durch die Kli­ma­ka­ta­stro­phe stan­den im Mit­tel­punkt des neu­en Festi­vals, son­dern die Ermu­ti­gung, die Impul­se, die von einer Gras­wur­zel­be­we­gung aus­ge­hen, von inter­na­tio­na­len Ver­trä­gen zum Natur­schutz, von Pro­jek­ten, Initia­ti­ven, Akti­vi­stIn­nen, Ideen, von Ein­zel­nen, die es schon anders machen. Festi­val-Direk­tor Die­ter Koss­lik warb mit Humor und Opti­mis­mus für ein brei­tes Umwelt-Enga­ge­ment. Prot­ago­ni­stIn­nen wie Ant­je Boe­ti­us (»Das dunk­le Para­dies«), Maja Göpel (»Wir kön­nen auch anders«) und Frank Schät­zing (»Der Schwarm«) gin­gen in Film­ge­sprä­chen auf die Fra­gen der Zuschau­er ein. Simon Scholl, Mit­be­grün­der des Kar­tof­fel­kom­bi­nats, erklär­te die Idee, durch gemein­schafts­ge­tra­ge­ne Wirt­schaft die kapi­ta­li­sti­schen Markt­ge­set­ze aus­zu­he­beln. Das Modell funk­tio­niert nicht nur in der Land­wirt­schaft, in der sich bereits ein Netz­werk von soli­da­risch wirt­schaf­ten­den Land­wirt­schafts­be­trie­ben (SoLa­Wis) gebil­det hat. Frank Schät­zing rief dazu auf, die größ­te Res­sour­ce zu nut­zen, über die wir ver­fü­gen: die Krea­ti­vi­tät. Auf dem Platz vor dem Film­mu­se­um stell­ten wäh­rend des Festi­vals Betrie­be und Initia­ti­ven aus dem Umland ihre Pro­jek­te für ein nach­hal­ti­ges Leben vor, dar­un­ter die Kräu­ter­Zie­ge­lei Treu­en­briet­zen und die Baue­rei in Grube.

Eröff­net wur­de das Festi­val mit dem Film »Les gar­di­en­nes de la planè­te« (engl. »Wha­le Nati­on«). Die Welt besteht aus Mee­ren, und die Mee­re gehö­ren den Walen. Regis­seur Jean-Albert Liè­v­re, der zum Gespräch ange­reist war, ver­riet, wie es gelin­gen konn­te, die­se fas­zi­nie­ren­den Lebe­we­sen zu fil­men. Hea­th­cote Wil­liams Poem »Wha­le Nati­on« bil­det die Text­ebe­ne des Films.

Die Domä­ne des Umwelt­films ist die Doku­men­ta­ti­on. Ein­fühl­sam bis unter die Haut wird die Situa­ti­on von Umwelt­ak­ti­vi­stIn­nen in dem Film »Bis hier­hin und wie wei­ter?« von Felix Maria Blü­her (D 2023) dar­ge­stellt. Der Film kommt dem­nächst in die Kinos. Um das opti­mi­sti­sche Start­up einer See­tang­farm geht es in »Send Kelp« von Bla­ke McWil­liam (Kana­da 2023). Das erste Pro­dukt »Cana­di­an Kel­pflakes Roa­sted« ist schon auf dem Markt. »Fashion reim­agi­ned« (Becky Hun­ter, GB 2022) ist inspi­riert durch eine per­sön­li­che Revol­te in der Kon­fek­ti­ons­bran­che, die zum Muster für den gesell­schaft­li­chen Wan­del wird. Amy Pow­ney, erfolg­rei­che Desi­gne­rin des Labels »Mother of Pearl«, erkennt den ver­schwen­de­ri­schen Non­sens und die ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen der Klei­dungs­in­du­strie auf die Umwelt und steckt das Preis­geld des Vogue-Awards, den sie gewann, in die Ent­wick­lung einer nach­hal­ti­gen Kol­lek­ti­on. »Food, Inc. 2« (USA 2023), eine Fort­set­zung der schockie­ren­den Doku­men­ta­ti­on »Food Inc.« (USA 2008) über die Lebens­mit­tel­in­du­strie, war wäh­rend des Festi­vals erst­mals in Deutsch­land zu sehen. Beson­ders berührt zeig­te sich das Publi­kum von der nor­we­gi­schen Doku­men­ta­ti­on »Ukjent Lands­kap« (»A new kind of wil­der­ness« 2024) über das Schei­tern der Fami­lie von Maria, Nik und ihren vier Kin­dern mit dem Ver­such, als Selbst­ver­sor­ger auf einer Farm zu leben. »Deli­ka­do« (Phil­ip­pi­nen, 2022) beleuch­tet den ver­zwei­fel­ten Kampf einer Grup­pe von Umwelt­schüt­zern auf der Insel Pala­wan gegen eine ver­fehl­te Poli­tik. Um den ille­ga­len Holz­ein­schlag im Regen­wald zu stop­pen, beschlag­nah­men die Akti­vi­sten Hun­der­te von ille­ga­len Ket­ten­sä­gen. 13 von ihnen wur­den ermor­det. Trotz­dem geben sie nicht auf: »Wir müs­sen das machen, weil sich sonst nie­mand findet.«

In »Deep Rising« (USA 2023) geht es um den fas­zi­nie­ren­den Lebens­raum der Tief­see und des Mee­res­bo­dens, der von der extrak­ti­ven Indu­strie bedroht ist, und um das Rin­gen der Welt­ge­mein­schaft, die­ses Bio­top vor unter­neh­me­ri­schem Gewinn­stre­ben zu schüt­zen, das auf der Suche nach Roh­stof­fen für Bat­te­rien die Man­gan­knol­len auf dem Mee­res­bo­den ent­deckt hat und die Lager­stät­ten aus­zu­beu­ten ver­sucht. »Das Kom­bi­nat« (D 2023) ist eine Lang­zeit­do­ku über den Auf­bau des Kar­tof­fel­kom­bi­nats in der Nähe von Mün­chen, das heu­te die größ­te SoLa­Wi in Deutsch­land ist und ein Leucht­turm­pro­jekt die­ser Bewe­gung. Die Ideen und Hoff­nun­gen, aber auch die Pro­ble­me sol­cher Pro­jek­te wer­den sicht­bar. Mit­be­grün­der Simon Scholl und Regis­seur Moritz Sprin­ger kamen zum Film­ge­spräch. Aus der sech­sei­li­gen Serie »Wir kön­nen auch anders« (D 2023) wur­den zwei Epi­so­den gezeigt. Maja Göpel, Regis­seur Lars Jes­sen und Schau­spie­le­rin Phe­li­ne Rog­gan dis­ku­tier­ten mit dem Publi­kum über die­sen neu­en Ansatz.

Aber auch Bei­trä­ge ande­rer Spar­ten gehör­ten zum Festi­val­pro­gramm. Gleich­zei­tig mit dem Eröff­nungs­film lief im Tha­lia die Deutsch­land­pre­mie­re von »The end we start from« (GB 2023), ein Action-Thril­ler, der den Über­le­bens­kampf einer jun­gen Mut­ter in der Kli­ma­ka­ta­stro­phe zeigt, den ver­zwei­fel­ten Ver­such, trotz­dem ein Leben zu füh­ren, einen Ort zu fin­den, ein zu Hau­se. Lite­ra­ri­sche Vor­la­ge ist der gleich­na­mi­ge Roman von Megan Hun­ter (Lon­don 2017, dt. Übers. von Karen Nöl­le »Vom Ende an«, C.H. Beck 2017). Sei­nen Aus­klang nahm das Festi­val mit »Raiz« (»Through rocks and Clouds«, Peru 2024), einem Film über den acht­jäh­ri­gen Feli­cia­no, der mit sei­ner Fami­lie, sei­nem Hüte­hund Ram­bo und sei­nem Alpa­ka Ronal­do als Hir­te in den Anden auf­wächst. Sei­ne Welt ist vom Berg­bau und den damit ein­her­ge­hen­den gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen bedroht. Die indi­ge­ne Bevöl­ke­rung wehrt sich mit einer Stra­ßen-Blocka­de. Für Raiz ist die Qua­li­fi­ka­ti­on der perua­ni­schen Natio­nal­mann­schaft für die Fuß­ball-WM das größ­te Ereig­nis. Gedul­dig erklärt er sei­nem Alpa­ka Ronal­do, den er wie Clau­dio Pizar­ro fri­sie­ren lässt, wo die WM statt­fin­den soll. Gemein­sam bre­chen sie sogar ein­mal in die Schu­le ein, damit Feli­cia­no Ronal­do zei­gen kann, wo das Land liegt, in dem die WM statt­fin­den soll. Wie wich­tig ein Fuß­ball-Tor sein kann und wie groß sein Wider­hall manch­mal ist, zeigt die­ser Film mit berüh­ren­den Bildern.

Die Ein­rei­chun­gen für das Kurz­film­pro­gramm kamen aus den 21 UNESCO Cities of Film, ein Netz­werk, zu dem Pots­dam seit 2019 gehört. Vier aus­ge­wähl­te Bei­trä­ge wur­den auf dem Festi­val gezeigt: »God is Born« (PL 2023), »Wild Recon­nec­tion« (Irland 2023), »El Tiem­po de la Ter­ra« (Argen­ti­ni­en 2024) und »Hot Stuff« (D 2023). In Koope­ra­ti­on mit dem VR-Busi­ness-Club und der Uni­ver­si­tät Pots­dam wur­de auch eine Aus­wahl von VR-Fil­men gezeigt, dar­un­ter beson­ders beein­druckend »Water & Col­tan« (D /​ Kon­go 2021), in dem es um die Aus­beu­tung von Frau­en im Berg­bau geht, und »Gene­sis« (D 2021), eine mei­ster­haf­te Visua­li­sie­rung der Erd­ge­schich­te, die deut­lich macht, wel­chen ver­schwin­dend klei­nen Anteil die Blü­te der mensch­li­chen Kul­tur hat.

Die Pre­mie­re für das Film-Festi­val Green Visi­ons war ein­ge­bet­tet in ein unru­hi­ges Wochen­en­de mit mäch­ti­gen Frei­tags­de­mos und der tra­di­tio­nel­len ADFC-Stern­fahrt nach Ber­lin. Im Lust­gar­ten, dem Film­mu­se­um gegen­über, lud The World of Motor­show zu einer ganz ande­ren Art von Per­for­mance ein, die ein ande­res Publi­kum und ande­re Inter­es­sen ansprach. Von alle­dem unbe­rührt dröhn­te end­los die Blech­la­wi­ne auf der Brei­ten Stra­ße in bei­den Rich­tun­gen vor­bei und blies CO2 in die Atmo­sphä­re. Und die Son­ne brann­te heiß vom Zenit. Wir kön­nen nicht nur anders, wir müs­sen anders. »Was auch immer wir tun kön­nen, das müs­sen wir tun« (Food Inc. 2).

Das Festi­val Green Visi­ons wur­de vom Publi­kum und von der Pres­se begei­stert auf­ge­nom­men. Dar­über, dass es fort­ge­setzt wer­den soll, waren sich alle einig. Hier hört und sieht man das Gras wach­sen und das Plank­ton in den dunk­len Tie­fen des Mee­res leuch­ten. Für die Zukunft.