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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ganz normale Bandenwerbung

Es gibt Neben­sa­chen, die direkt ins Zen­trum einer Haupt­sa­che füh­ren. Ins Zen­trum des neu­en deut­schen Mili­ta­ris­mus zum Bei­spiel. Eine sol­che Neben­sa­che ist die neue Ban­den­wer­bung des Ball­spiel­ver­eins Borus­sia Dort­mund. Der bör­sen­no­tiert geführ­te Bun­des­li­gist hat gera­de (laut dem Fach­ma­ga­zin kicker) deut­lich über 100 Mil­lio­nen Euro in der Cham­pi­ons League ein­ge­nom­men und ist für die näch­ste Sai­son bereits wie­der für die­sen ein­träg­li­chen Wett­be­werb qua­li­fi­ziert. Das Unter­neh­men zahlt zwar kei­ne Divi­den­de, hat aber auch kaum bemer­kens­wer­te Schul­den. Braucht die Borus­sia also gera­de ganz drin­gend die paar Mil­lio­nen Über­ge­winn vom Düs­sel­dor­fer Rüstungs­kon­zern Rheinmetall?

Mit­nich­ten. Zwei bör­sen­no­tier­te Unter­neh­men machen Geschäf­te, aber dies­mal geht es nicht ums Geld. David BVB (Akti­en­wert zwi­schen 3 und 4 Euro, Umsatz 450 Mil­lio­nen) gewährt dem Spon­sor-Goli­ath (Akti­en­wert um die 530 Euro, Umsatz 7,2 Mil­li­ar­den) das, was er am nötig­sten hat: Aner­ken­nung. Der Vor­stands­vor­sit­zen­de Armin Pap­per­ger: »Mit dem BVB und Rhein­me­tall haben sich zwei Part­ner gefun­den, die mit ihren Ambi­tio­nen, ihrer Hal­tung und ihrer Her­kunft gut zuein­an­der pas­sen. Rhein­me­tall möch­te sei­ne Mar­ke auch inter­na­tio­nal noch bekann­ter machen.« Hans-Joa­chim Watz­ke, Vor­sit­zen­der der Geschäfts­füh­rung von Borus­sia Dort­mund: »Sicher­heit und Ver­tei­di­gung sind ele­men­ta­re Eck­pfei­ler unse­rer Demo­kra­tie. Des­halb hal­ten wir es für die rich­ti­ge Ent­schei­dung, uns sehr inten­siv damit zu beschäf­ti­gen, wie wir die­se Eck­pfei­ler schüt­zen. Gera­de heu­te, da wir jeden Tag erle­ben, wie Frei­heit in Euro­pa ver­tei­digt wer­den muss. Mit die­ser neu­en Nor­ma­li­tät soll­ten wir uns aus­ein­an­der­set­zen. Wir freu­en uns auf die Part­ner­schaft mit Rhein­me­tall und öff­nen uns als Borus­sia Dort­mund ganz bewusst für einen Diskurs.«

Bei­de Zita­te, die durch die Medi­en gin­gen, stam­men aus der Pres­se­er­klä­rung von Rhein­me­tall. Der Rüstungs­ma­na­ger macht, was ein Mana­ger eben so macht: Er fädelt den ersten Deal der Rüstungs­in­du­strie mit einem Bun­des­li­gi­sten ein, um »als Mar­ke im In- und Aus­land noch bekann­ter zu wer­den« (Rhein­me­tall). Was aber macht Hans-Joa­chim Watz­ke, ein Unter­neh­mens­grün­der, der selbst nie in einer rele­van­ten Liga Fuß­ball gespielt hat, heu­te gleich­wohl als der ein­fluss­reich­ste Funk­tio­när des pro­fes­sio­nell orga­ni­sier­ten deut­schen Fuß­balls gilt? Er macht gro­ße Poli­tik. Pro­pa­gan­da für eine »neue Nor­ma­li­tät«, von der man gern genau­er wüss­te, was das sein soll. Die Gewöh­nung an Krieg als Nor­mal- statt als Aus­nah­me­zu­stand? Die men­ta­le Wehr­ertüch­ti­gung von Volk und Fan? Jeden­falls ja doch der Ver­such, mit Haber­mas zu spre­chen, eine neue kul­tu­rel­le Selbst­ver­ständ­lich­keit zu eta­blie­ren, wo eine alte zu zer­bröckeln scheint.

Denn wenn die schon da wäre, wäre das ja nicht nötig. Und so stemmt sich der Unter­hal­tungs-Mana­ger Watz­ke in das ganz gro­ße poli­tisch-ideo­lo­gi­sche Umschwung­rad. Wenn in der neu­en Sai­son Dort­mund spielt, wird an der Ban­de das Rhein­me­tall-Logo erschei­nen, wenn Edin Ter­zić sich der Pres­se stellt, wird es im Hin­ter­grund zu sehen sein. Und schon auf dem Weg ins Sta­di­on soll den Fans, die im Übri­gen vor­her von der neu­en Dis­kurs-Ethik ihres Ver­eins­vor­stan­des nichts wuss­ten, von Dis­plays an der Sta­di­on-Fas­sa­de damit heim­ge­leuch­tet werden.

Das gefällt nicht nur Dr. Hans Chri­stoph Atz­po­di­en, Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Bun­des­ver­ban­des der Deut­schen Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­in­du­strie, der dem Han­dels­blatt in Treue fest zu Rhein­me­tall ver­si­chert, Spon­so­ring sei ein Weg, »um einer brei­ten Schicht der Bevöl­ke­rung das Gefühl zu ver­mit­teln, dass Waf­fen für die Erhal­tung unse­rer Sicher­heit und unse­res Frie­dens nichts ›Unap­pe­tit­li­ches‹ sind, son­dern eben ganz nor­mal zu unse­rer gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät gehö­ren, wenn wir in Frie­den und Frei­heit leben wol­len.« Es gefällt auch – Frau Strack-Zim­mer­mann? Herrn Hof­rei­ter? Herrn Kie­se­wet­ter? – nein: unse­rem Bun­des­wirt­schafts­mi­ni­ster Robert Habeck: »Wir wis­sen und müs­sen es lei­der zuge­ben, dass wir in einer ande­ren, bedroh­li­che­ren Welt sind. (…) Inso­fern spie­gelt die­ses Spon­sor­ship sicher­lich auch ein Stück weit die Rea­li­tät der Zei­ten­wen­de wider.« Grü­ner Neu­sprech, ein Stück weit zei­ten­ge­wen­det sicherlich.

Appe­tit auf die neue Nor­ma­li­tät hat auf jeden Fall Rhein­me­tall. Und der Bauch wird immer fet­ter. Seit Ende 2021, weni­ge Mona­ten vor dem rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne also, hat sich der Akti­en­kurs und damit der Wert des größ­ten deut­schen Rüstungs­kon­zerns ver­sechs­facht. Er pro­du­ziert fast alles, wonach der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Selen­skyj ver­zwei­felt ruft und was also der Bun­des­wehr dem­nächst feh­len wird: von Glatt­rohr-Pan­zern wie Leo­pard 2, Fuchs, Pan­ther nebst Muni­ti­on; Brücken­le­ger- und Minen­räum­pan­zern, Pan­zer­ab­wehr, Flug­ab­wehr, Hau­bit­zen, Maschi­nen­ka­no­nen bis zu Flug­zeug­ka­no­nen, bemann­ten und unbe­mann­ten Boden­fahr­zeu­gen und, und, und – über 600 Ange­bo­te von Aus­rü­stung und Aus­bil­dung zu Land, zu Was­ser und in der Luft sind im Kata­log auf der Web­site nach­zu­le­sen, die jetzt auf die Zei­ten­wen­de-Mil­li­ar­den warten.

Gehört das alles zur Nor­ma­li­tät unse­res All­ta­ges? Wohl nicht, solan­ge man nicht neben einem Trup­pen­übungs­platz wohnt, zum Bei­spiel in Unter­lüß in der Lüne­bur­ger Hei­de, wo bis heu­te eine der Stamm­fa­bri­ken von Rhein­me­tall steht. Und ob eine brei­te Schicht der Bevöl­ke­rung jetzt mehr Appe­tit auf Waf­fen für Frie­den und Frei­heit bekommt, ist einst­wei­len noch höchst ungewiss.

Darf sich ein Fuß­ball­klub poli­tisch posi­tio­nie­ren? Natür­lich darf er das, aber die Posi­tio­nie­rung ist nicht egal. Der neue Liga­kon­kur­rent FC St. Pau­li zum Bei­spiel hat seit Jahr­zehn­ten durch­aus eine Art poli­ti­sche Agen­da: anti­fa­schi­stisch, gegen Ras­sis­mus, Homo­pho­bie, Frau­en­feind­lich­keit, Vor­ur­tei­le aller Art, für Inte­gra­ti­on und Tole­ranz. Die Zivil­ge­sell­schaft kann immer noch mehr, lau­tet die Idee der Pro­jek­te, die der Ver­ein spons­ort, ein über Jahr­zehn­te gewach­se­ner Hin­ter­grund. So sieht leben­di­ges Enga­ge­ment für Frie­den und Frei­heit aus. Ähn­lich ist es beim SC Frei­burg oder bei Uni­on Ber­lin. Eine mili­ta­ri­sti­sche Dis­kurs­wen­de, auch wenn sie ein Stück weit der aktu­el­len Rea­li­tät des poli­tisch-media­len Zeit­gei­stes sich anbie­dert, ist etwas ganz ande­res: Ver­rat an den Wer­ten, für die man ein­zu­ste­hen vorgibt.

Haben sich da also tat­säch­lich zwei Part­ner gefun­den, die in Her­kunft und Hal­tung gut zuein­an­der pas­sen? Wächst da in Nord­rhein-West­fa­len zusam­men, was zusam­men­ge­hört? Wer weiß schon, was die Zukunft bringt, reden wir also über die Vergangenheit.

Zwei Welt­krie­ge hat Rhein­me­tall mit­ge­macht und mit­ver­lo­ren und es danach immer aufs Neue zu stu­pen­der Grö­ße gebracht. Die Unta­ten, die das mit ermög­lich­ten, sind noch nicht wirk­lich histo­risch durch­drun­gen. Ulrich San­der wies in einer Rede aus Anlass einer Rhein­me­tall-Haupt­ver­samm­lung dar­auf­hin, dass die Vor­läu­fer von Rhein­me­tall-Bor­sig (wie die vor dem Zwei­ten Welt­krieg von den Nazis zusam­men­ge­füg­te und dann bis 1941 den Reichs­wer­ken Her­mann-Göring ein­ge­glie­der­te Waf­fen­schmie­de von 1936 bis 1955 hieß) noch wäh­rend der revo­lu­tio­nä­ren Arbei­ter­auf­stän­de im Novem­ber 1918 Mil­lio­nen­be­trä­ge für eine »Anti­bol­sche­wi­sti­sche Liga« bereit­ge­stellt haben, die damit Mör­der­ban­den der Frei­korps finanzierte.

Seit 1899 pro­du­ziert Rhein­me­tall Waf­fen in Unter­lüß. Die Geschich­te der Lüne­bur­ger Hei­de ist hier des­halb eine Geschich­te der Zwangs­ar­beit. Schon im Ersten Welt­krieg muss­ten in den Betrie­ben, die unter ande­rem auch Gift­gas pro­du­zier­ten, Kriegs­ge­fan­ge­ne schuf­ten. Im Zwei­ten Welt­krieg wur­de ab 1941 ein Lager­sy­stem auf­ge­baut, in deren zuletzt 21 Baracken vie­le Tau­sen­de von Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­bei­tern unter noto­risch men­schen­ver­ach­ten­den Bedin­gun­gen gehal­ten wur­den; 1944 waren es 56 Pro­zent der Beleg­schaft, Frau­en, Män­ner, auch Kin­der. »Die Hälf­te der am Stand­ort Unter­lüß ein­ge­setz­ten zivi­len Arbeits­kräf­te kam aus Polen, ein Vier­tel aus der Sowjet­uni­on, der Rest aus Jugo­sla­wi­en, Bel­gi­en, Frank­reich und Ita­li­en. Wei­ter gab es sowje­ti­sche, ita­lie­ni­sche und fran­zö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne und jüdi­sche Frau­en, KZ-Häft­lin­ge, die mei­sten aus Polen und Ungarn kom­mend.« Wer das genau­er lesen möch­te und die erschüt­tern­den Zeit­zeu­gen-Berich­te dar­über, übri­gens auch von Zwangs­ar­bei­tern der bei­den ande­ren Rhein­me­tall-Zen­tren Düs­sel­dorf und Söm­mer­da (Thü­rin­gen), sei auf die zum Down­load frei­ge­ge­be­ne 70seitige Doku­men­ta­ti­on »Zwangs­ar­beit im Faschis­mus bei der Fir­ma Rhein­me­tall-Bor­sig und der Rüstungs­stand­ort Unter­lüß« des Bünd­nis­ses »Rhein­me­tall ent­waff­nen« ver­wie­sen, aus der die­se Anga­ben stammen.

Oh ja, es gibt schreck­li­che Grün­de für Rhein­me­tall, sei­ne Geschich­te ver­ges­sen zu machen und sei­ne »Mar­ke« an der Dort­mun­der Ban­de inter­na­tio­nal auf­zu­po­lie­ren. Der BVB selbst hin­ge­gen hilft, anders als sein neu­er »Cham­pi­on Part­ner«, seit min­de­stens 20 Jah­ren dabei, Schritt für Schritt die Geschich­te von »Borus­sia Dort­mund in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus 1933-1945« auf­zu­klä­ren, so auch der Titel eines gera­de erst im Metro­pol Ver­lag erschie­nen Buches. Der Ver­ein orga­ni­siert unter ande­rem Fahr­ten für Fans nach Oświęcim und unter­stütz­te den wei­te­ren Aus­bau der Holo­caust-Gedenk­stät­te Yad Vashem.

Gehört das also zusam­men? Nach Ambi­tio­nen, Hal­tung und Her­kunft? Nein! Ganz und gar nicht. Es mag ja nur Fuß­ball sein, aber zum Teil der neu­en deut­schen Kriegs­er­tüch­ti­gungs-Kam­pa­gne gemacht zu wer­den, das hat der revier­stol­ze Arbei­ter­ver­ein nicht ver­dient. Viel­leicht wäre etwas weni­ger natio­na­le Dis­kurs-Geil­heit an der Spit­ze nicht ver­kehrt. Nicht, dass dem BVB am Ende noch so ein irre­ge­lei­te­ter Leo in die ele­men­ta­ren Iden­ti­täts-Grund­pfei­ler der neu­en Nor­ma­li­tät rauscht. Es gibt »Dis­kur­se«, die am Ende mit dem fal­schen Lied auf­hö­ren: You‘ll never die alone.

Abstei­gen kann man auch mora­lisch. Glück auf, Herr Watzke!