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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Flagge zeigen?

Stel­len wir uns vor, ein Mit­glied des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts hisst am Fah­nen­mast sei­nes Pri­vat­hau­ses die Reichs­kriegs­flag­ge und soll spä­ter über ein Ver­fah­ren gegen die AfD mit­ent­schei­den. Zuge­ge­ben, ziem­lich weit her­ge­holt. Aber in dem Land, das den Deut­schen lan­ge als Hort der Demo­kra­tie galt und das maß­geb­lich zur Instal­lie­rung unse­res Nach­kriegs­wer­te­sy­stems bei­getra­gen haben soll, ist etwas viel­leicht Ver­gleich­ba­res gera­de öffent­lich gemacht worden.

Wie die New York Times berich­tet, flat­ter­te am Pri­vat­haus von Samu­el Ali­to, einem der kon­ser­va­tiv­sten Mit­glie­der des US Supre­me Courts, im Janu­ar 2023 kurz­zei­tig eine Flag­ge, die Fach­leu­te mit einer rechts­extre­men Bewe­gung in den USA in Ver­bin­dung brin­gen. Die­se hat­te nach den Prä­si­dent­schafts­wah­len von 2020 die Mär von der »gestoh­le­nen Wahl« mas­siv ver­brei­tet. Ihre Flag­ge, die eine umge­kehr­te ame­ri­ka­ni­sche Flag­ge ist, war ursprüng­lich mili­tä­risch als Signal um Hil­fe genutzt wor­den. Pro­mi­nent war sie dann aber beim Sturm auf das Capi­tol vom 6. Janu­ar 2021 viel­fach aufgetaucht.

Spä­ter recher­chier­te die New York Times, dass auch an einem wei­te­ren Anwe­sen der Fami­lie Ali­to eine ande­re Flag­ge, die sog. »Appeal to Heaven«-Flagge auf­ge­taucht war. Sie stammt aus dem kon­ser­va­tiv-christ­li­chen Milieu und wur­de eben­falls beim Sturm auf das Capi­tol verwendet.

Ali­to äußer­te sich zunächst nur zum ersten »Fund« und erklär­te, sei­ne Ehe­frau habe die Flag­ge kurz­zei­tig als Ant­wort auf Strei­tig­kei­ten mit einer Nach­bar­fa­mi­lie, die sich sehr kri­tisch über Donald Trump geäu­ßert hät­te, auf­ge­zo­gen. Inzwi­schen scheint sich nach wei­te­ren Recher­chen der New York Times her­aus­ge­stellt zu haben, dass die­se Strei­tig­kei­ten sehr viel spä­ter statt­fan­den als das Auf­zie­hen der Flag­ge. Bei der zwei­ten Flag­ge erklär­te Ali­to nun­mehr gegen­über demo­kra­ti­schen Kon­gress­ab­ge­ord­ne­ten, sei­ne Frau sei ein­fach ein Flaggenfan.

Bri­sant wird die­ser Vor­fall durch die zwei vor dem Supre­me Court anste­hen­den Ent­schei­dun­gen, die mit Donald Trump zusam­men­hän­gen. In näch­ster Zeit muss das Gericht dar­über urtei­len, ob der Ex-Prä­si­dent tat­säch­lich am 6. Janu­ar 2021 zum Sturm auf das Capi­tol auf­ge­ru­fen hat.

Samu­el Ali­to wur­de von Prä­si­dent Geor­ge W. Bush im Jah­re 2006 zum Rich­ter am höch­sten US-Gericht ernannt und gilt mit sei­nen stark kon­ser­va­ti­ven Ein­stel­lun­gen, die er nie ver­hehlt hat, als eine der trei­ben­den Kräf­te hin­ter dem Abtrei­bungs­ur­teil von 2022, mit dem das Gericht bun­des­ge­setz­li­che Rege­lun­gen zur Abtrei­bung für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt hatte.

Wie in den USA kaum noch anders zu erwar­ten, gehen die Mei­nun­gen auch bei die­sem Vor­fall dia­me­tral aus­ein­an­der. Kon­ser­va­ti­ve Medi­en hal­ten das Gan­ze für eine völ­lig auf­ge­bla­se­ne Sto­ry ohne jede Rele­vanz für das Amt des 74jährigen Rich­ters. Vie­le Juri­stin­nen und Juri­sten sowie sogar der erz­kon­ser­va­ti­ve Sena­tor Lind­sey Gra­ham äußer­ten aller­dings, Ali­to müs­se sich von den anste­hen­den Ver­fah­ren, die Donald Trump betref­fen, wegen eige­ner Befan­gen­heit zurück­zie­hen. Das hat er bis­her abge­lehnt. Beson­ders pikant ist das Gan­ze, weil der Supre­me Court sich gera­de Ende letz­ten Jah­res einen Ver­hal­tens­ko­dex für sei­ne Mit­glie­der gege­ben hat­te, um dem bösen Schein der Befan­gen­heit zu begeg­nen, was unter ande­rem auf von rei­chen repu­bli­ka­ner­freund­li­chen Spon­so­ren finan­zier­te Rei­sen für Ali­to zurückgeht.

Wie ist nun die von Ali­to vor­ge­brach­te »Ver­tei­di­gung«, das Gan­ze gehe auf die beste aller Ehe­frau­en zurück, zu bewer­ten? Sip­pen­haft ken­nen weder das ame­ri­ka­ni­sche noch das deut­sche Recht. Aber kann dem treu­en Ehe­mann Ali­to tat­säch­lich die offen­sicht­li­che Sym­pa­thie sei­ner Ehe­frau für als rechts­ra­di­kal ein­ge­schätz­te Grup­pie­run­gen ver­bor­gen geblie­ben sein, und hät­te er da nicht im Inter­es­se sei­ner eige­nen Posi­ti­on ein­schrei­ten müs­sen? Soll­ten in den Ver­fah­ren gegen Ali­to Befan­gen­heits­an­trä­ge gestellt wer­den, wird sich die Rest­mann­schaft des Supre­me Court damit aus­ein­an­der­zu­set­zen haben.

Abschlie­ßend noch ein­mal zurück zu unse­rem fik­ti­ven Ein­gangs­fall. Er liegt etwas anders; denn das Zei­gen der Reichs­kriegs­flag­ge ist, wenn dazu noch ein Haken­kreuz kommt, nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB straf­bar. Das gilt aller­dings nicht für eine »ein­fa­che« Reichs­kriegs­flag­ge. Sie soll aber auf Grund der all­ge­mei­nen Sym­bo­lik eine Ord­nungs­wid­rig­keit nach § 118 des Ord­nungs­wid­rig­kei­ten­ge­set­zes dar­stel­len. Das sieht ein Buß­geld vor, wenn eine »grob unge­bühr­li­che Hand­lung geeig­net ist, die All­ge­mein­heit zu belä­sti­gen oder zu gefähr­den und die öffent­li­che Ord­nung zu beein­träch­ti­gen«. Die Innen­mi­ni­ste­rin­nen und -mini­ster von Bund und Län­dern haben das mit der Begrün­dung bejaht, dass sol­che Reichs­kriegs­flag­gen auch bei dem Sturm auf den Bun­des­tag im August 2020 gezeigt wor­den sei­en. Das dürf­te jeden­falls aus­rei­chen, um den fik­ti­ven rich­ter­li­chen Flag­gen­fan des BVerfG als befan­gen anzusehen.

Flag­ge zei­gen mag gut sein. Aber es muss die rich­ti­ge sein!

Der Autor war vie­le Jah­re Vor­sit­zen­der Rich­ter am Bre­mer Landgericht.