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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wie »völkisch« ist Faschismus heute?

1.Den Faschis­mus begrei­fen – das hat zuerst des­sen objek­ti­ves Wesen als mono­pol­ka­pi­ta­li­sti­sches Regime­for­mat im Visier. Und damit zusam­men­hän­gend: des­sen aufs Sub­jek­ti­ve zie­len­de Ver­hei­ßun­gen. Marx hat­te im »18. Bru­mai­re« die­se Metho­de sei­ner Geschichts­be­trach­tung an Lou­is Bona­par­te ver­deut­licht. Des­sen »Dezem­ber­ge­sell­schaft« schenk­te beim Staatstreich 1851 sei­ner Mas­sen­ba­sis, den eigen­bröt­le­risch reak­tio­nä­ren Par­zel­len­bau­ern, die Ver­si­che­rung: »Ruhe und Ord­nung!«. An einer ähn­lich vagen Paro­le ergötz­ten sich die Rech­ten Anfang des letz­ten Jahr­hun­derts: »völ­kisch«. Was so wenig defi­nier­bar war, wie in ande­re Spra­chen über­setz­bar. Aber selbst libe­ra­le und lin­ke Geschichts­deu­ter las­sen sich von die­sem Brust­ge­trom­mel bis heu­te ein­schüch­tern: Als ob die »Völ­ki­schen« – »wir sind das Volk!« – die Volks­mehr­heit sei­en, und Lin­ke dage­gen gleich­sam natür­lich nur bei den Min­der­hei­ten zu ste­hen hät­ten. Viel zu lan­ge wand­ten sich Lin­ke sogar von allem Volks­tüm­li­chen ab.

Eine mate­ria­li­sti­sche Psy­cho­lo­gie, die Zusam­men­hän­ge von Psy­cho­lo­gie und Geschich­te durch­for­stet, kommt zu einem ganz ande­ren Ergeb­nis: Der Faschis­mus war objek­tiv »mehr­heits­feind­lich« und auf die immer klei­ner wer­den­de Min­der­heit von Mono­pol­ka­pi­ta­li­sten zuge­schnit­ten. Und muss­te sich dar­um dem­ago­gisch stets neue Mehr­hei­ten ergau­nern. Mit sol­cher­lei Vor­gau­ke­lun­gen wie »völ­kisch« »natio­nal«, »sozia­li­stisch« und »Arbei­ter­par­tei« schleim­ten sich die brau­nen Ket­ten­hun­de deut­scher Stahl­ba­ro­ne bei strau­cheln­den Schich­ten des werk­tä­ti­gen Volks ein.

Wenn aber heu­te Tages­schau­spre­cher uns ech­ten Sozia­li­sten »die Natio­nal­so­zia­li­sten« genüss­lich unter die Nase rei­ben, über­neh­men sie bruch­los eine Mar­ke­ting-Lüge der Nazis. Auch schon mal gegen Sahra Wagen­knecht als »natio­na­le Sozia­li­stin« (wenn die nicht, wie gera­de, als Höcke-Töte­rin bis zur Thü­rin­gen-Wahl medi­al und »dienst­lich« etwas geschont wird).

»Völ­kisch« dient aber auch dazu, die AfD im aktu­el­len Ver­bots­dis­kurs als »gesi­chert rechts­extrem« zu kate­go­ri­sie­ren. Das Dream-Team Faeser, Hal­den­wang (der Prä­si­dent des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz) und die deut­sche Bischofs­kon­fe­renz fabu­lie­ren von einem »geschlos­se­nen rech­ten Welt­bild«. Und von einer »völ­ki­schen Gesin­nung« (war­um nicht gleich von einer »ari­schen« oder »nor­di­schen« Gesinnung?).

Hin­ge­gen dort, wo sich die AfD mit allen Bun­des­tags-Frak­tio­nen gemein­sam und gemein macht (bei Steu­er­ver­kür­zung für Super­rei­che, Ren­ten- und Sozi­al­hil­fe-Kür­zun­gen, Nato-Auf­rü­stung, Netan­ja­hus Ter­ror-Regime etc.), wird sie von Slom­ka & Co. nicht ange­grif­fen. Dafür aber als »völ­kisch«.

Bloß: »Völ­kisch« ist eine rein sub­jek­ti­ve, ideo­lo­gi­sche Hal­lu­zi­na­ti­on. Wer einem ande­ren vor­wirft, »völ­kisch gesinnt« zu sein, muss erst ein­mal erklä­ren, was er (oder sie) damit meint. Denn »völ­kisch« hat nichts von dem, was ein begrei­fen­der Begriff braucht. »Völ­kisch« und »fremd­völ­kisch« ver­klä­ren nur will­kür­lich zusam­men­ge­tra­ge­ne Eigen­schaf­ten einer will­kür­lich zum »Volk« erho­be­nen Menge.

Für den israe­li­schen Faschi­sten­mi­ni­ster Smo­t­rich wäre da zum Bei­spiel »der Erfin­der­geist des jüdi­schen Volks« gegen »die Faul­heit des palä­sti­nen­si­schen« eine »völ­ki­sche« Anru­fung. Für die alten Nazis war der deut­sche Kna­be »völ­ki­sches Ide­al«: flink wie ein Wind­hund, schlank, rank und blond – eben nicht gera­de ein Nach­bau von Goeb­bels, Göring und Hitler.

Wer aber »völ­kisch« heut­zu­ta­ge ver­wen­det – auf- oder abwer­tend – bemisst will­kür­lich und von oben her­ab bei ande­ren einen hohen Grad an Hei­mat­fi­xie­rung. Und meist über­nimmt er dabei bruch­los eine Kern­ka­te­go­rie der Nazi-Dem­ago­gen: Als gäbe es in eines Vol­kes »Blut« tat­säch­lich so etwas wie einen geno­mi­schen Trans­mit­ter für gemein­sa­me Ideen, für »arisch-ras­si­sche« Kul­tur­wer­te oder ein nor­di­sches »Her­ren­volk«.

Die Faschi­sten rie­fen damit »ein Volk und ein Reich« zu den Waf­fen (wobei Schwu­le, Frau­en und Behin­der­te noch nicht ins Feld durf­ten) und zum Fron­dienst unter die jewei­li­ge Wirt­schafts­eli­te. Sowas gar­nier­te der frü­he­re Anar­chist und »Sozi­al­de­mo­krat« Mus­so­li­ni mit sozia­ler Dem­ago­gie: »Unser Staat ist kein kapi­ta­li­sti­scher, son­dern ein Korporativstaat.«

Gram­sci und Togliat­ti gin­gen die­sem Käl­ber­marsch­ge­schrei nicht auf den Leim und ver­schärf­ten nicht ein­fach trot­zig den Kampf »Klas­se gegen Klas­se«. Sie setz­ten hin­ge­gen auf eine neue anti­im­pe­ria­li­sti­sche Alli­anz, einen »histo­ri­schen Block« (Gramsci/​Togliatti) der werk­tä­ti­gen »neun Zehn­tel« (Dimitroff). Gegen das »Völkisch«-Geschwurbel strit­ten sie: für Volksfront.

In Deutsch­land kriegt gera­de Mus­so­li­nis »Kor­po­ra­tiv­staat« eine modi­sche Regen­bo­gen­tö­nung und ein pin­kes Fuß­ball-Dress von Nike ver­passt. Das »Volks-Gan­ze« bekommt sei­nen woken Klang, wenn Frau­en und sämt­li­che ande­ren Geschlech­ter nebst sexu­el­len Nei­gun­gen in gro­ßer Con- und Inklu­si­on zu den Waf­fen geru­fen und in Bil­lig­ar­beit und Insol­ven­zen getrie­ben wer­den. Wäh­rend aktu­ell Super­rei­che immer rei­cher wer­den – und kriegerischer.

»Natio­na­li­stisch« oder »eta­ti­stisch« sind, im Unter­schied zu »völ­kisch«, ech­te Begrif­fe. Die sich zwar ideo­lo­gisch über­stei­gert, aber auf mensch­ge­mach­te Ein­hei­ten bezie­hen: eben Nati­on oder Staat. Beson­ders der Begriff »faschi­stisch«, den woke Denun­zi­an­ten scheu­en, ist durch und durch wis­sen­schaft­lich begründ­bar. An der Macht und in sei­ner sozia­len Bewe­gung. Wofür stets reak­tio­när­ste Tra­di­tio­nen und Ver­klem­mun­gen ange­trig­gert wur­den zum anti­kom­mu­ni­sti­schen Ter­ror gegen poli­ti­sche und inti­me »Scham­lo­sig­kei­ten« werk­tä­ti­ger Män­ner und beson­ders Frau­en, vor allem, wo die­se sich orga­ni­siert gegen ihre Unter­drücker erhoben.

Laut Geor­gi Dimitroffs berühm­tem Refe­rat vor dem VII. Welt­kon­gress der Kom­in­tern sind in die faschi­sti­sche Dem­ago­gie nicht nur jeweils modi­sche Fet­zen reak­tio­när­ster Men­schen­bil­der ein­ge­stickt. Der Faschis­mus spe­ku­liert dazu »auch mit den besten Emp­fin­dun­gen der Mas­sen, ihrem Gerech­tig­keits­ge­fühl und mit­un­ter sogar ihren revo­lu­tio­nä­ren Tra­di­tio­nen«. Dazu haben Brau­ne einst rote Meta­phern ent­kernt. Wie es heu­te Grü­ne tun.

Jetzt wol­len Ampel-Kriegs­het­zer Arm in Arm mit der Black­Rock-CDU Streik­recht, Sozi­al­hil­fe, Mei­nungs­frei­hei­ten und ande­re erkämpf­te, gesetz­li­che Rech­te aus­he­beln. (Dage­gen wären übri­gens AfD­ler die ersten Nazis in der deut­schen Geschich­te, die »Frie­den mit Russ­land« fordern.)

2.Seit den Jako­bi­nern und der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on gibt es auch die Bezeich­nung »Links­na­tio­na­li­sten«. Ange­wen­det wur­de die­se spä­ter auch auf Revo­lu­ti­ons­füh­rer wie Boli­var, den jun­gen Castro, Lumum­ba, Nas­ser, Orte­ga und Cha­vez. Die links­na­tio­na­li­sti­schen Paro­len vom »Gro­ßen Vater­län­di­schen Krieg« der Roten Armee oder Kubas »Vater­land oder Tod« fan­den bei der inter­na­tio­na­li­sti­schen, deut­schen Lin­ken eine gewis­se Akzep­tanz, solan­ge sie »nur« von unter­le­ge­nen Staa­ten genutzt wur­den, um im Krieg gegen den Haupt­feind Impe­ria­lis­mus zu über­le­ben. Da »durf­te« über­stei­gert auf »Natio­nal-Tra­di­tio­nen« zurück­grif­fen wer­den. Aber nicht nur in ärme­ren Län­dern suchen Men­schen bis­wei­len neu­en sozia­len Halt in alten natio­na­len Tra­di­tio­nen, son­dern auch zuneh­mend kri­sen­ge­schüt­tel­te Ärme­re in rei­che­ren Staa­ten. Ohn­mäch­tig, ange­sichts von Spal­tung der Lin­ken, Ver­sailles-Dik­ta­ten und Infla­ti­on grif­fen in Deutsch­land vor 1933 eben auch Weni­ger-Poli­tisch-Orga­ni­sier­te-und-Gebil­de­te, jun­ge Arbeits­lo­se und plei­te­ge­gan­ge­ne Hand­wer­ker, nach sol­cher­lei natio­na­li­sti­schen Selbstvergewisserungen.

3.Horkheimer ver­bat sich einst ein Reden über Faschis­mus, solan­ge des­sen inne­rer Kapi­ta­lis­mus ver­schwie­gen wür­de. Küh­nel sprach vom Faschis­mus als bür­ger­li­cher Herr­schafts­form. Dimitroff aller­dings hat­te bereits die Wesens­merk­ma­le der faschi­sti­schen Dik­ta­tur schär­fer gefasst, näm­lich als Regime impe­ria­li­stisch­ster Mono­po­le. Deren Histo­rie hat­te 1976 mit unge­heu­rer Gei­stes­ar­beit Rein­hard Opitz auf 1018 Buch­sei­ten doku­men­tiert (»Euro­pa­stra­te­gien des deut­schen Kapi­tals«, Pahl Rugen­stein). So auch auf den Sei­ten 689-800 die Aus­füh­run­gen, die der Aus­schwitz-Finan­zier Her­mann Josef Abs von der Deut­schen Bank vor Reichs­wirt­schafts­füh­rern hielt, um die­se 1940/​41 auf den kom­men­den Über­fall auf die Sowjet­uni­on ein­zu­schwö­ren. Er kal­ku­lier­te vor, wie mit den Ren­di­ten des »Unter­neh­mens Bar­ba­ros­sa« aus rus­si­schem Gas, Öl und Arbeits­skla­ven die Schul­den von gleich zwei Welt­krie­gen zu beglei­chen gewe­sen wären. Abs sprach dort ganz und gar nicht »völ­kisch«. Aber die in Aus­sicht gestell­ten gigan­ti­schen Mono­pol­pro­fi­te soll­ten durch­aus »heim ins Reich« flie­ßen: zu Krupp, Thys­sen, Sie­mens, IG Far­ben, Daim­ler & Co. Und zur Deut­schen Bank. Dimitroff hat­te sol­ches beti­telt als »die Poli­tik des wirt­schaft­li­chen Natio­na­lis­mus (Aut­ar­kie)«.

Die sub­jek­ti­ven »völ­ki­schen« Anru­fun­gen der Unte­ren von Sei­ten der Nazis kor­re­spon­dier­ten also durch­aus mit aut­ar­ken Pro­fit-Berech­nun­gen der deut­schen Bour­geoi­sie­tei­le an der Macht. Um bei­des, das objek­ti­ve Wesen des Faschis­mus bis 1945 und sei­ne sub­jek­ti­ven Bot­schaf­ten an das Volk, in einem gewis­sen Gleich­klang zu ver­fas­sen, also im Natio­na­lis­mus ihrer Zeit, wur­den »Volk ohne Raum« und »völ­kisch« zu ideo­lo­gi­schen Klam­mern von unten und oben.

Als nun, nach der »Pots­dam-Gate-Insze­nie­rung« von Cor­rec­tiv, auf den Demo­wel­len »gegen rechts« sur­fen­de Haupt­red­ner eine bevor­ste­hen­de »Macht­er­grei­fung 2.0« pro­phe­zei­ten, wur­de medi­al der Ein­druck ver­brei­tet, ein neu­er deut­scher Faschis­mus kön­ne tat­säch­lich noch ein­mal im alten »völ­ki­schen« Gewand auf­er­ste­hen. So, als ob sei­ne öko­no­mi­sche Basis heu­te tat­säch­lich noch ein­mal eine »Aut­ar­kie« (Dimitroff) wäre. Ein – zuge­ge­ben – genia­ler Taschen­spie­ler­trick, um Regimes der trans­na­tio­nal agie­ren­den Kon­zer­ne wie Black­Rock, Rhein­me­tall, Micro­soft, Apple, Ama­zon, Sor­os & Co für die Unte­ren in mil­dem Licht zu spie­geln. Wäh­rend sie von oben durch woke, anti-»völkische« Sprech-Eli­ten auf ent­grenz­te Kriegs­tüch­tig­keit umge­drillt wer­den sollen.

Noch gelingt ihnen die­se kul­tu­rel­le Ermäch­ti­gung auch per anti­fa­schi­sti­schem Fin­ger­zeig auf Pino­chet, Milei, Bol­so­n­a­ro, Brei­vik und ande­re rech­te Mör­der. Aber die »völ­ki­sche« Het­ze in deren »Mani­fe­sten« war und ist zugleich Gruß­adres­se an wer­te-west­li­che »Her­ren­men­schen«, Dol­lar-Herr­schaft und Pentagon.

Der alte Faschis­mus war in Wahr­heit anti­na­tio­nal und »mehr­heits­feind­lich«, wie die deut­schen Trüm­mer­fel­der von 1945 bewei­sen. Über sein Wesen – und nicht nur über Erschei­nun­gen der ana­chro­ni­sti­schen Rech­ten mit ihrem »völ­ki­schen« Agit­prop – muss muti­ger auf­ge­klärt wer­den. Und Mehr­hei­ten dage­gen auf die Stra­ße gebracht. Für den Anti­fa­schis­mus der Ver­fas­sung: Nie wie­der Krieg!