Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Freude am Leben

Sie haben bis heu­te mehr als 100 Mil­lio­nen Plat­ten ver­kauft, gel­ten als eine der erfolg­reich­sten ame­ri­ka­ni­schen Bands. Über »The Beach Boys« ist seit Ende Mai bei Dis­ney+ der gleich­na­mi­ge Doku­men­tar­film zu sehen. Damit setzt der Anbie­ter sei­ne Rei­he von Pop-Musik-Fil­men fort: 2021 erschien die drei­tei­li­ge Doku­men­ta­ti­on »The Beat­les: Get Back« und Anfang Mai die­ses Jah­res die restau­rier­te Fas­sung des Beat­les-Films »Let It Be« von 1970.

»The Beach Boys« erzählt die Sto­ry der Band mit teils bis­her unver­öf­fent­lich­ten Archiv­auf­nah­men, zahl­rei­chen (ange­spiel­ten) Songs und vie­len neu­en Inter­views. So kom­men neben den Mit­glie­dern der Grup­pe auch Paul McCart­ney, Lind­sey Buck­ing­ham, Janel­le Monáe und der Plat­ten­pro­du­zent Don Was zu Wort.

Ein wich­ti­ger Grund für den Erfolg der Beach Boys war, dass sie mehr oder weni­ger zu einer Fami­lie gehör­ten. So gab es – zumin­dest über vie­le Jah­re – einen beson­ders gro­ßen Kame­rad­schafts­geist. Da ist der älte­ste der drei Brü­der, Bri­an Wil­son, das musi­ka­li­sche Genie. Da war Den­nis Wil­son, der mitt­le­re, Schlag­zeu­ger und Sex­sym­bol der Grup­pe. Und da war Carl Wil­son, der jüng­ste, schüch­ter­ne, mit dem guten Her­zen. Hin­zu kom­men Mike Love, der Cou­sin und Lead­sän­ger, sowie Alan Jar­di­ne, ein guter Freund.

Die Wil­sons leb­ten in einem Rei­hen­haus in Hawt­hor­ne bei Los Ange­les. Der Vater – Händ­ler von Zube­hör für die Flug­in­du­strie – schrieb Songs und lan­de­te einen klei­nen Rhythm & Blues-Hit; die Mut­ter war Musi­ke­rin. Fuhr die Fami­lie Auto, san­gen die Brü­der auf der Rück­bank drei­stim­mig Lie­der. Zu Hau­se hat­ten sie in der Gara­ge ein Musik­zim­mer, wo sie stun­den­lang san­gen oder Musik hör­ten, und im Wohn­zim­mer stan­den Flü­gel, Har­fe und Orgel. Sie lieb­ten Doo Wop, The Ever­ly Brot­hers, The Four Fresh­men. Bri­an spiel­te deren Arran­ge­ments nach, bald sogar eige­ne. Irgend­wann wuss­ten sie: »Wir sind wer!« Da schlu­gen sie eine ande­re Rich­tung ein, hör­ten Surf-Songs, damals meist Instru­men­tal­mu­sik. Sur­fen war in Süd­ka­li­for­ni­en das gro­ße Ding, dar­um krei­sten die mei­sten Gesprä­che, und man hat­te einen eige­nen Dress­code. Doch der ein­zi­ge Wil­son, der wirk­lich Sur­fen konn­te, war Den­nis, die ande­ren bei­den wären dabei fast ertrun­ken. Trotz­dem woll­ten sie Songs übers Sur­fen singen.

1961 stell­ten sie einem klei­nen Plat­ten­la­bel ihren Song »Sur­fin’« vor. Da ver­pass­ten die Label-Bos­se ihnen den Namen »The Beach Boys«. Einen Monat spä­ter hör­ten sie den Song im Radio. Er klet­ter­te in Los Ange­les bis auf Platz zwei. Nun kamen die Auftrittsangebote.

Ihr Vater wur­de ihr Mana­ger, mach­te für sie wie wild Wer­bung und brach­te sie zu Capi­tol Records. Ihr Image der net­ten, wei­ßen, blon­den Teen­ager aus Süd­ka­li­for­ni­en traf einen Nerv. Der ein­fluss­rei­che Musik­pro­du­zent Don Was aus Detroit: »Wegen den Beach Boys sehn­te ich mich nach die­sem Ort, wo man ein Auto hat­te, Mädels im Biki­ni und Surf­bret­ter. Wo es warm war.« Bald hör­te man The Beach Boys in ganz Ame­ri­ka, dann auf der gan­zen Welt. Hits wie »Sur­fin’ USA«, »Fun, Fun, Fun« oder »I Get Around«. Als sie 1963 auf ihrer Mid­west-Tour zum Lake Min­ne­ton­ka (Min­ne­so­ta) kamen, schlu­gen Fans Schei­ben ein, um in den Saal zu kom­men. Eine kilo­me­ter­lan­ge Schlan­ge von Autos stau­te sich. Und beim Kon­zert hör­ten die Beach Boys zum ersten Mal die Mäd­chen krei­schen. Den­nis Wil­son: »Wir dach­ten es brennt!«

Einem der Beach Boys mach­te das Tou­ren kei­nen Spaß: Bri­an. Als sie 1964 nach Hou­ston flo­gen, hat­te er unter­wegs einen Ner­ven­zu­sam­men­bruch, woll­te nur noch nach Hau­se! Dort schrieb er an neu­en Songs, Cou­sin Mike Love ver­fass­te die Tex­te: Songs über Spaß und Lie­be und uner­wi­der­te Lie­be, per­fek­te Teen­ager-Musik, drei­stim­mig gesun­gen. Don Was dazu: »Es ist toll, wie sich die­se Ein­zel­stim­men zusam­men­fü­gen. Jede gehört dazu. Nimmt man eine von ihnen raus, geht der Sound ver­lo­ren.« Dann hör­te Bri­an Wil­son »Be My Baby« von den Ronet­tes, pro­du­ziert von Phil Spec­tor und sei­nem opu­len­ten Wall of Sound. Nun begann Bri­an auch zu pro­du­zie­ren. Er berei­te­te die Songs so weit vor, dass die Band, wenn sie nach einer Tour nach Hau­se kam, nur noch ein­zu­sin­gen brauch­te. Dazu hat­te er im Stu­dio eine eige­ne, aus­ge­zeich­ne­te Auf­nah­me-Grup­pe, die Wrecking Band. Carl Wil­son über­nahm die Füh­rung der Tourband.

Bei der Arbeit am epo­cha­len Album »Pet Sounds« (1966) ließ Bri­an das Vier-Akkor­de-Pop­song-Sche­ma hin­ter sich. Und wur­de zum Per­fek­tio­ni­sten. Der Gesang auf »Pet Sounds« gehört, so heißt es im Film, zum Besten, was je im Pop auf­ge­nom­men wur­de. Als Bruce John­s­ton, inzwi­schen auch bei den Beach Boys, in Lon­don Wer­bung für »Pet Sounds« mach­te, traf er auf die Beat­les Len­non und McCart­ney. Meh­re­re Male hör­ten sie »Pet Sounds«. McCart­ney vor kur­zem dazu: »Ich dach­te: Das ist das beste Album aller Zei­ten. Was machen wir denn jetzt?« Bekannt­lich ant­wor­te­ten die Beat­les mit »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band«!

Auch das fol­gen­de Beach Boys-Album – »Smi­le« (1967) – wur­de berühmt. Bri­an Wil­son hol­te den 23jährigen Musi­ker und Pro­du­zen­ten Van Dyke Parks als Tex­ter zum Pro­jekt. Bei­de nah­men jede Men­ge Auf­putsch­mit­tel und arbei­te­ten wie beses­sen. Im Stu­dio wur­de schon mal ein Holz­feu­er ent­zün­det, und die Musi­ker muss­ten Feu­er­wehr­hel­me tra­gen. Bri­an: »Ich war ver­rückt.« Am Ende aber leg­te er das Pro­jekt auf Eis – es war ein­fach zu schräg. 2004 erschien es dann als Solo-Album von Brian.

Die Teil­nah­me beim berühm­ten Mon­terey Pop Festi­val im Juni 1967, wo die Beach Boys Head­li­ner sein soll­ten, sag­te die Band im letz­ten Moment ab. Nie­mand konn­te das fas­sen! Denn hier begrüß­ten meh­re­re Hip­pie-Musi­ker und -Bands den Som­mer of Love, der die Kul­tur der USA – auch als Ant­wort auf den Viet­nam-Krieg – die näch­sten Jah­re domi­nie­ren soll­te. Und die Beach Boys ver­pass­ten den Zug!

Als sich Bri­an Wil­son vom Pro­duk­ti­ons­pro­zess zurück­zog, brach­ten sich die ande­ren Beach Boys mehr ein. Die Alben zur Wen­de zu den 70ern klin­gen wie von einer ande­ren Band. Aber die Fans konn­ten sie nicht mehr zuord­nen. Das Album »Sun­flower« (1970) lan­de­te in den USA auf Platz 151. Ver­zwei­felt hol­te sich die Grup­pe zwei neue Musi­ker in die Band oder ging zur Album-Pro­duk­ti­on nach Hol­land. Doch es half nicht, sie kämpf­ten – zumin­dest in den USA, in Euro­pa waren sie popu­lä­rer – ums Über­le­ben! Schließ­lich ver­öf­fent­lich­te Capi­tol Records 1974 ein Best-of-Dop­pel-Album mit alten Lie­dern. Schnur­stracks schoss es in den USA auf die Num­mer eins. Bald spiel­ten sie wie­der in Stadien.

»War­um hat­ten die Beach Boys Erfolg«, wird Bri­an Wil­son am Ende der Doku gefragt: »Ich den­ke«, so sei­ne Ant­wort, »unse­re Musik fei­er­te die Freu­de am Leben, auf ganz ein­fa­che Wei­se. Sie ist ein direk­ter Aus­druck von Glück!«