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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Erregungsmaschine

Sich erre­gen ist nicht per se zu kri­ti­sie­ren. Es gibt genü­gend Tat­be­stän­de, die Kopf­schüt­teln und auch mehr ver­die­nen. Aber wenn die Erre­gung den Raum des Rechts erreicht, ist Vor­sicht gebo­ten. Natür­lich las­sen sich Geset­ze aus­le­gen oder auch ändern. Aber nicht umsonst gibt es dafür Regeln. Die kom­men den Erreg­ten sicher manch­mal alt­mo­disch vor. Sie haben aber letzt­lich einen guten Grund, sie sol­len gewähr­lei­sten, einen Sach­ver­halt sine ira et stu­dio (= ohne Hass und Eifer) zu beur­tei­len, selbst wenn er auf den ersten, meist flüch­ti­gen Blick eine kräf­ti­ge Reak­ti­on des Staa­tes erforderte.

Bei­spie­le gefäl­lig? Der Ham­bur­ger Innen­se­na­tor Andy Gro­te schlug jüngst vor, Straf­tä­ter (wie­der) nach Afgha­ni­stan abzu­schie­ben und wur­de breit unter­stützt, auch vom Bun­des­kanz­ler. Dass in die­sem von den Tali­ban regier­ten Land kei­ne rechts­staat­li­chen Ver­hält­nis­se exi­stie­ren, dürf­te kaum außer Fra­ge ste­hen. Aber der Schutz unse­rer Bür­ger und Bür­ge­rin­nen soll­te, so die from­me Den­kungs­art des Sena­tors, vom Applaus eil­fer­ti­ger Abschie­bungs­apo­stel beglei­tet, doch vor­ge­hen. Car­sten Lin­ne­mann, CDU-Gene­ral­se­kre­tär sekun­dier­te in der Welt: »Man muss es nur wollen.«

Das wirft für mich die Fra­ge auf, ob die Bun­des­re­pu­blik nicht mehr in der Lage ist, ihre Bür­ge­rin­nen und Bür­ger auf ihrem eige­nen Ter­ri­to­ri­um zu beschüt­zen. Sind wir also isla­mi­sti­schen Straf­tä­tern wehr­los aus­ge­lie­fert, wenn wir sie nicht abschie­ben? Das ähnelt schon sehr den Fan­ta­sien der AfD, die die­sen Staat bekann­ter­ma­ßen für unfä­hig und in den Hän­den ver­meint­li­cher lin­ker Eli­ten wähnt. Und außer­dem: Stel­len wir uns ein­mal vor, der Täter von Mann­heim könn­te wirk­lich ohne deut­sches Straf­ver­fah­ren nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wer­den und wür­de dort als Held gefei­ert, der den Ungläu­bi­gen in Deutsch­land einen wich­ti­gen Schlag ver­setzt habe. Ist das wirk­lich das, was wir wol­len? Wenig wahr­ge­nom­men wur­de da die Erklä­rung der Innen­mi­ni­ste­rin, die Abschie­bung sol­le erst nach Ver­bü­ßung der Stra­fe erfolgen.

Wei­ter sind da schon die erreg­ten Ver­su­che, tat­säch­li­che oder ver­meint­li­che anti­se­mi­ti­sche Stel­lung­nah­men per Gesetz oder Ver­ord­nung ver­bie­ten zu las­sen. Genau das woll­te der Ber­li­ner Kul­tur­se­na­tor Joe Chia­lo mit einer Klau­sel, nach der die Bewil­li­gung von För­der­gel­dern unter ande­rem an ein Bekennt­nis gegen Anti­se­mi­tis­mus auch im Hin­blick auf Isra­el ver­bun­den wer­den soll­te – ein Ver­such, der schnell­stens wie­der im sena­to­ri­schen Papier­korb ver­schwand, als sich sein Autor an die Mei­nungs­frei­heit des Grund­ge­set­zes erin­nern las­sen muss­te. Das hin­der­te aller­dings die Ber­li­ner Justiz­se­na­to­rin Fel­or Baden­berg nicht, die­sen Vor­schlag wie­der aufzugreifen.

Ähn­lich wie Chia­lo scheint es der Bun­des­for­schungs­mi­ni­ste­rin Stark-Watz­in­ger mit dem von ihr nach Medi­en­be­rich­ten ange­sto­ße­nen Ver­such ergan­gen zu sein, auf Grund eines kri­ti­schen Brie­fes von Ber­li­ner Hoch­schul­leh­re­rin­nen und -leh­rern zur Räu­mung der FU Ber­lin nach pro­pa­lä­sti­nen­si­schen Pro­te­sten die Mög­lich­keit prü­fen zu las­sen, ob gegen sie nicht nur straf­recht­li­che und dis­zi­pli­na­ri­sche Maß­nah­men ein­ge­lei­tet, son­dern auch För­der­mit­tel gestri­chen wer­den könn­ten. Inzwi­schen bestrei­tet die Mini­ste­rin, davon gewusst zu haben und ließ den Kopf ihrer Staat­s­e­kre­tä­rin rol­len. Da muss man sich neben allem ande­ren fra­gen, wie das Bun­des­mi­ni­ste­ri­um dis­zi­pli­na­ri­sche Maß­nah­men gegen Lan­des­be­dien­ste­te ergrei­fen kön­nen soll.

So erbärm­lich anti­se­mi­ti­sche Aus­fäl­le auch sein mögen, recht­fer­tigt das, Denk- und Sprach­ver­bo­te per Regie­rungs­an­wei­sung? Glück­li­cher­wei­se wur­den die­se Vor­stö­ße schnell und ver­hält­nis­mä­ßig geräusch­los beer­digt, ohne dass Gerich­te tätig wer­den muss­ten. Erre­gung und Empö­rung blei­ben eben doch schlech­te Ratgeber.

Und dann ist da noch Sylt. Demon­stra­tiv stel­len sich gro­ße Unter­neh­men gegen die pri­va­ten Aus­wüch­se ihrer joh­len­den Jung­mit­ar­bei­ter und -mit­ar­bei­te­rin­nen. Tat­säch­lich könn­ten hier Straf­ta­ten began­gen wor­den sein, Volks­ver­het­zung und auch das Zei­gen natio­nal­so­zia­li­sti­scher Zei­chen. Doch nicht nur die arbeits­recht­li­che Com­mu­ni­ty warnt vor den durch­aus zwei­fel­haf­ten Erfolgs­aus­sich­ten von Kün­di­gun­gen. Pro­fes­sor und Rechts­an­walt Arnd Dirin­ger geht sogar so weit, den »Opfern« qua­si schon ein­mal per öffent­li­cher Auf­for­de­rung in der »WELT« Rechts­kun­de­un­ter­richt für erfolg­rei­che Kün­di­gungs­schutz­kla­gen zu ertei­len. Auf jeden Fall ist auch hier die Rechts­la­ge nicht so glas­klar im Sin­ne einer Bestra­fung, einer Kün­di­gung oder eines Haus­ver­bots an der Uni­ver­si­tät, wie man­che zu mei­nen glauben.

Die Zahl der Bei­spie­le lie­ße sich mühe­los ver­viel­fa­chen und wird wohl auch in Zukunft kon­stant hoch blei­ben. Vie­le machen für die­se Aus­wüch­se des »Poli­ti­ker­zorns« und ver­öf­fent­lich­ter Stim­men die neu­en Medi­en ver­ant­wort­lich, die man irr­tüm­lich immer noch »sozi­al« nennt. Dass sie zu sol­chen Reak­tio­nen gera­de­zu her­aus­for­dern, ist unbe­strit­ten. Aber müs­sen sich die ach so Erreg­ten die­sem Druck immer anpas­sen, der ohne­hin nach zehn Tagen oder zwei Wochen ver­dun­stet ist? Die Erre­gungs­ma­schi­ne zu bedie­nen, ist ver­füh­re­risch, aber auch gefähr­lich. Denn wenn – wie häu­fig – auf ihr Ingang­set­zen kei­ne nen­nens­wer­ten Taten fol­gen, wird nur das Nar­ra­tiv vom hand­lungs­un­fä­hi­gen oder -unwil­li­gen Staat genährt. Das spielt meist rech­ten Kräf­ten mit ihrer System­kri­tik in die Kar­ten und erreicht damit eher das Gegen­teil als die erhoff­ten Zustim­mungs­re­ak­tio­nen. Des­halb: Fin­ger weg von der Erregungsmaschine.